Tölzer Orgelfesttage:Neuer Organist, neues Programm

Lesezeit: 2 min

Der Würzburger Domorganist Stefan Schmidt kam kurzfristig zu einem Gastspiel nach Bad Tölz. (Foto: Harry Wolfsbauer)

Stefan Schmidt springt kurzfristig für den erkrankten Michael Schönheit ein

Von Sabine Näher, Bad Tölz

Eigentlich hatte das Publikum bei den Tölzer Orgelfesttagen den Leipziger Gewandhausorganisten Michael Schönheit und sein Programm "Bach-Verehrung in Leipzig" mit Werken von Bach, Schumann, Mendelssohn, Brahms und Reger erwartet. Doch dann musste Schönheit krankheitsbedingt absagen. Organisator Sepp van Hüllen war die Erleichterung anzumerken, einen ebenbürtigen Ersatz präsentieren zu können: den Würzburger Domorganisten Stefan Schmidt. Solch ein Einspringer ist in einer denkbar undankbaren Position: Das Publikum hat sich auf einen anderen Musiker eingestellt, er selbst muss auf Werke zurückgreifen, die er konzertreif parat hat. Bis auf Reger blieben zumindest alle angekündigten Komponisten im Programm.

Johann Sebastian Bachs Fantasia in G-Dur BWV 572 bringt mit ihren in höchsten Höhen flirrenden Tönen einen ekstatischen Einstieg - und den überwältigenden Effekt, wenn dann der volltönende Orgelklang einsetzt und mit erhabener Majestät den Kirchenraum füllt. Mit Souveränität, den Weg unbeirrt zielsicher verfolgend, leitet Schmidt die Zuhörer durch die grandiose Klangpracht. Musik, die der Seele gleichsam Flügel verleiht. Es folgt Robert Schumanns Fuge über B-A-C-H op. 60,5. In geradezu demütiger Schlichtheit, fast andächtig, voller Verehrung für den großen Meister; tief empfunden und seelenvoll von Schmidt interpretiert. Ein anderes Selbstbewusstsein offenbart da Felix Mendelssohn mit Präludium und Fuge c-moll op. 37,1: Er will sich hörbar messen mit dem großen Vorbild, statt wie Schumann in andächtiger Verehrung zu verharren. Er trumpft auf, will zeigen, was er kann.

Ein Blick auf die biografische Situation der beiden Komponisten ist erhellend. Mendelssohn entstammte einer großbürgerlichen, den Künsten zugewandten Berliner Familie mit jüdischen Wurzeln, die zum Reformierten Glauben übergetreten war. Er erfuhr jedwede Förderung. Früh kam er in Kontakt mit Goethe, der sich vom Talent des Knaben beeindruckt zeigte. Seine Musikerkarriere lief bestens; 1835 wurde er mit 26 Jahren Gewandhauskapellmeister in Leipzig. Robert Schumann dagegen kam aus einem kleinbürgerlichen Buchhändlerhaushalt in der Provinzstadt Zwickau. Er reiste mit großen Ambitionen nach Leipzig, wollte Pianist werden, zerstörte sich diese Möglichkeit jedoch durch übermäßiges Üben, das eine irreparable Fingerverletzung zur Folge hatte. Also wurde er Komponist und Musikjournalist, wobei seine Rezensionen mehr Beachtung fanden als seine Kompositionen.

Mendelssohn und Schumann einte ihre große Wertschätzung Bachs, der in der Mitte des 19. Jahrhunderts nur noch Insidern bekannt war. Beide setzten sich vehement für eine Renaissance der Bachschen Werke ein und müssen in einem Programm, das der Bach-Verehrung gewidmet ist, folglich unbedingt vertreten sein.

Kunstvoll ausgearbeitet, effektvoll gesetzt, der Virtuosität des Interpreten Raum zur Darstellung gebend, huldigt Mendelssohn im Opus 37,1 erkennbar dem Vorbild, lässt aber gleichwohl seinen "Sommernachtstraum-Ton", die lebensfrohe Leichtigkeit des Seins, aufblitzen. Mit Brahms' Variationen und Fuge über ein Thema von Georg Friedrich Händel (für Orgel bearbeitet von Martin Schmeding) weicht Schmidt dann vom vorgegebenen Pfad ab und wendet sich quasi dem Antipoden Bachs zu. Steht der für vergeistigte Musik, die immer "zum Ruhme Gottes" (soli deo gloria) entsteht, ist Händel der weltliche Lebe- und Geschäftsmann, der seinen Londoner Opern- und Oratorienbetrieb nach betriebswirtschaftlichen Kriterien führt.

Das Händel-Brahms-Schmeding-Werk verlangt dem Organisten alles ab; die ganze Bandbreite an Farben und Ausdrucksmöglichkeiten ist gefragt. Schmidt überzeugt vollkommen und schließt mit einer eigenen Improvisation über "Freu dich, du Himmelskönigin": Leicht, licht, luftig legt die Orgel ihr erhabene Majestät ab, steigt aus der Himmelshöhe hinab und begibt sich gleichsam unter die Menschen - mitten hinein in deren wuseliges Treiben. Großer, verdienter Applaus.

© SZ vom 12.06.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: