Kandidatin für den Tassilo 2018:"Ullas Special"

Kandidatin für den Tassilo 2018: Ulla Haehn war maßgeblich daran beteiligt, dass die Komische Gesellschaft wiederauflebte.

Ulla Haehn war maßgeblich daran beteiligt, dass die Komische Gesellschaft wiederauflebte.

(Foto: Harry Wolfsbauer)

Theatermacherin Ulla Haehn hat für ihre intensive Arbeit mit den Laiendarstellern der Komischen Gesellschaft in Bad Tölz ein eigenes Konzept entwickelt.

Von Petra Schneider, Bad Tölz

Seit einigen Jahren macht die Komische Gesellschaft wieder Theater. Die jährlichen Produktionen in der Alten Madlschule sind fast immer ausverkauft und gehören zu den kulturellen Ereignissen der Stadt, die man gesehen haben muss. Sie sind garantiert Happy-End-frei, wirken lange nach und greifen mutig auch brisante Themen auf: Kindesmissbrauch wie in "Frostnacht", Beziehungen und die Frage, wie viel "Wahrheit" diese vertragen; Demenz in "Wege mit Dir" oder zuletzt die szenische Lesung "Zickig, zynisch, zielsicher", die sich mit der Manipulation und Instrumentalisierung von Menschen auseinandersetzte. Großes Theater, und das ist nicht nur den hervorragenden Laienschauspielern zu verdanken, sondern vor allem ihrer Regisseurin Ulla Haehn.

Die 71-Jährige war maßgeblich am Wiederaufleben des Kulturvereins beteiligt und führt Schauspieler und Zuschauer seit sieben Jahren einfühlsam und mit sicherer Hand durch berührende, verstörende und anregende Theatererfahrungen. "Ich will nicht einfach nur Gaudi machen auf der Bühne, sondern eine gesellschaftlich-politische Botschaft rüberbringen", sagt die ehemalige Grundschullehrerin und ausgebildete Ehe- und Lebensberaterin. Ihr Anspruch ist hoch, die Hingabe und Begeisterung für ihre ehrenamtliche Aufgabe ebenso.

Etwa ein Jahr lang arbeitet sie mit dem Ensemble an einem Stück; wöchentliche Proben von Jahresanfang an, nach der Sommerpause dann die Feinarbeit. "Ullas Special" nennen die Schauspieler ihre Wochenend-Workshops, in denen intensiv an den Figuren gefeilt wird. Die Schauspieler - derzeit gehören sechs Leute zur Stammgruppe - müssen Biografien ihrer Figuren entwickeln, sich Rolleninterviews stellen oder in einer Art "Familienaufstellung" die Beziehungen ihrer Figuren zueinander ausleuchten. Haehn setzt Methoden und psychologisches Wissen aus ihrer Beraterausbildung ein, um die Schauspieler in ihre Figuren hineinzuführen - und anschließend wieder heraus. Ganz wichtig sei das bei Stücken wie "Frostnacht", bei denen die Schauspieler an psychische Grenzen gehen mussten. Haehn hat dafür besondere Strategien entwickelt: Am Ende der Aufführungen müssen die Schauspieler für das Publikum erkennbar ihre Rollen ablegen; Kostüme gegen Alltagsklamotten tauschen, Frisuren verändern, die Bühne verlassen, um wieder in ihr Alltagsleben einsteigen zu können. Haehn sagt, sie habe als Co-Regisseurin von Claus Steigenberger bei der Theaterwerkstatt des "Hinterhalt" "viel gelernt". Sie hat eine Vorliebe für französische Stücke. Sie zeigten auf ganz eigene Weise die Abgründe hinter scheinbar heilen Beziehungsfassaden. Die Zwischentöne erkennen, lernen, dass es "nicht nur schwarz-weiß gibt" - diese Botschaft will sie den Zuschauern vermitteln.

Die Bühnenbilder ihrer Inszenierungen sind minimalistisch, und die Stücke stehen nicht auf jedem Spielplan. Lösungen werden nicht präsentiert, dafür Fragen aufgeworfen und unterschiedliche Perspektiven beleuchtet. "Es gibt so viele Möglichkeiten, wie man ein Leben leben kann", sagt Haehn. "Wie soll ich das denn bewerten?" Konträre Meinungen, unterschiedliche Lebensentwürfe zu respektieren, das sei die Voraussetzung für ein konstruktives Miteinander.

Haehn macht auch Theater mit behinderten Menschen; in Zusammenarbeit mit dem Arbeitskreis für Menschen mit Behinderungen im Landkreis hat sie bereits drei Inklusionstheaterprojekte in Geretsried umgesetzt. Sie ermuntert die Teilnehmer zum Improvisieren oder gibt einen kleinen Sketch vor, in den sie die Ideen der Schauspieler einarbeitet. So ist etwa der "Märchenhafte Kriminalfall" entstanden. Die Arbeit mit behinderten Menschen sei sehr bereichernd, weil diese sich offen und oft "auf eine sehr direkte Art äußern". Trotzdem sei es schwierig, nicht-behinderte Schauspieler zu gewinnen, damit tatsächlich Inklusions-Projekte entstünden. Schon in ihrer Zeit als Lehrerin an der Tölzer Jahnschule hat sie mit der Lebenshilfe kooperiert und "Inklusions-Schattenspiele" auf die Bühne gebracht.

Die gebürtige Aachenerin, die 2002 von Geretsried nach Bad Tölz gezogen ist, hat drei Kinder und vier Enkel. Die Oma-Rolle liege ihr nicht besonders, sagt sie und lacht. "Ich hab mein eigenes Leben." Theater gehöre da unbedingt dazu.

Leserinnen und Leser der SZ haben bis Ende Februar die Gelegenheit, Personen und Gruppen vorzuschlagen, die in ihrem Landkreis oder Stadtviertel künstlerisch wirken oder in der Kulturarbeit aktiv sind. Das Spektrum kann vom Kirchenchor über Kammermusiker bis zur Rockband reichen, vom Volksmusikanten bis zum Videokünstler, Filmemacher oder Veranstalter. Vorschläge können per E-Mail unter tassilo@sueddeutsche.de oder per Post an die SZ Bad Tölz-Wolfratshausen, Untermarkt 2, 82515 Wolfratshausen, geschickt werden. Einsendeschluss ist Mittwoch, 28. Februar.

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