Sagen und Mythen:Das Wunder vom Kochelsee

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Kloster Benediktbeuern Herzogstand

Ein Föhnsturm soll das Kloster Benediktbeuern der Legende nach im eisigen Winter 1704 vor dem Ansturm von 2000 Soldaten gerettet haben.

(Foto: Manfred Neubauer)

In einem klirrend kalten Winter des Jahres 1704 wollen österreichische Truppen das Kloster Benediktbeuern einnehmen. Der Kesselberg wird gesperrt, doch die Angreifer laufen über den zugefrorenen See. Die Rettung: ein Föhnsturm - vielleicht geschickt von der Heiligen Anastasia

Von Sabine Näher, Benediktbeuern

Wer das Kloster Benediktbeuern auf dem zehn Kilometer langen Moosrundweg 1 umwandert, erreicht nach einer Dreiviertelstunde die Loisach. Er läuft an dieser entlang und durch das trocken gelegte Moos im großen Bogen zum Kloster mit seinen charakteristischen Doppeltürmen zurück. Wohl kaum ein Wanderer ahnt, dass Benediktbeuern dem Moos, der Loisach und dem 7,5 Kilometer entfernten Kochelsee einst seine Existenz verdankte.

Am 1. November 1700 war König Karl II. von Spanien verstorben, der letzte spanische Habsburger. Da er keine Erben hinterließ, entbrannte um die Frage, wer ihm nachfolgen sollte, der sogenannte Spanische Erbfolgekrieg, der von 1701 bis 1714 im westlichen Europa tobte. Dabei kämpften als "Haager Große Allianz" Österreichisch, das Heilige Römische Reich, Großbritannien und die Niederlande gegen Frankreich und seine Verbündeten Kurköln, Savoyen und das Kurfürstentum Bayern. Im Sommer 1703 eroberte der bayerische Kurfürst Max Emanuel Nordtirol.

Doch Tiroler Kämpfer nahmen den Widerstand auf und führten im Gegenzug ihrerseits Angriffe gegen das bayerische Alpenvorland. Auch vom Abt des Klosters Benediktbeuern, Eiland Öttl, verlangten österreichische Truppen, die sich in der Grenzfestung Scharnitz niedergelassen hatten, einen Tribut. Sie drohten, das Kloster niederzubrennen. Der Abt wies diese Forderung zurück, denn er verfügte über genügend gute Schützen, denen er die Verteidigung Benediktbeuerns zutraute.

Lediglich im Süden gab es ein Einfallstor, doch dort boten die Loisach, der Kochelsee, der damals deutlich weiter nach Norden reichte, vor allem aber die Loisach-Kochelsee-Moore Schutz. Normalerweise jedenfalls. Doch der Winter 1703/04 brachte extreme Kälte. An diesem Sonntagnachmittag im Dezember 2016 ist es ebenfalls klirrend kalt. Doch das ist nichts gegen die Temperaturen Ende Januar 1704. "Minus 30 Grad herrschten damals in der Region", sagt Pater Johann Neuner. Der aus Oberfranken stammende Salesianer hat das Klostergebäude ohne Mantel verlassen, läuft an der Kirche vorüber und biegt zum Friedhof ab. Wer den energisch Ausschreitenden sieht, mag kaum glauben, dass er im September seinen 81. Geburtstag gefeiert hat. Seit 2011 ist er in Benediktbeuern, um hier in der Seelsorge mitzuarbeiten und die Klosterführungen zu organisieren. Etliche leitet Neuner selbst.

Und so ist er auch jetzt, von der Kälte völlig unbeeindruckt, ganz in seinem Element, als er die prächtig ausgestattete Barockkapelle betritt, die der Heiligen Anastasia gewidmet ist, und zu erzählen beginnt. "So kalte Winter waren damals gar nicht selten", sagt er. Die österreichischen Truppen hätten diesen Umstand nutzen wollen, um es den Bayern heimzuzahlen, die sich im Spanischen Erbfolgekrieg auf die feindliche, französische Seite geschlagen hatten. "Sie wollten Benediktbeuern einnehmen, doch den Zugang über den Kesselberg vom Walchensee her hatte der Abt verbarrikadieren lassen. Und von Schlehdorf aus lagen der See und das Moor dazwischen." Doch wegen der extremen Kälte waren beide zugefroren und damit leicht passierbar.

Der Benediktbeurer Abt, der wegen Streitfragen um den Fischfang im Kochelsee in Schlehdorf weilte, habe vom geplanten Vorstoß der etwa 2000 Österreicher erfahren und diese Kunde nach Benediktbeuern übermittelt, woraufhin sich die etwa 30 im Kloster lebenden Benediktinermönche an die Heilige Anastasia wendeten und sie um Hilfe anflehten. Soweit die historischen Fakten, wie sie in der lateinischen Chronik des Benediktiners und Historikers Karl Meichelbeck, die 1730 fertig gestellt wurde, überliefert sind. Nun setzt die Legende ein, die sich um den 28. Januar des Jahres 1704 gesponnen hat: Anastasia habe einen solch mächtigen Föhnsturm herauf beschworen, dass sich die minus 30 Grad in plus 30 verwandelt haben sollen. "Die Föhnstürme können hier zwar tatsächlich sehr stark sein, aber das glaube ich dem Meichelbeck jetzt ehrlich gesagt nicht ganz", sagt Neuner. Jedenfalls taute der See, das Moor weichte auf, und nachdem die ersten Tiroler versunken waren, wurden die Truppen zurück beordert, um größere Verluste zu vermeiden. Benediktbeuern war gerettet.

Zum Dank gelobte der Abt den Bau einer neuen, prächtigen Kapelle zu Ehren Anastasias, der aus Kostengründen aber erst fünfzig Jahre später realisiert werden konnte. Die Reliquien der Anastasia kamen schon im 11. Jahrhundert von Verona nach Benediktbeuern ins hiesige Benediktinerkloster, wie Pater Neuner erklärt. Die meisten Bestandteile stammen vom Kopf der Heiligen. So kam es, dass sie bei Kopfweh und Nervenleiden um Hilfe angefleht wurde. "Auch Menschen, die unter damals unerklärlichen Krampfanfällen litten - wir würden heute von Epilepsie sprechen - wurden hierher gebracht, wenn die ärztliche Kunst versagte." Da die Verehrung für Anastasia immer mehr zunahm, wurde ihr 1606 eine erste Kapelle errichtet. An ihrer Stelle entstand 1752 bis 1754 der barocke Nachfolgebau, aus Dankbarkeit für das Wunder der Errettung.

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Die goldene Büste der Anastasia ist eine Reliquie: In ihr steckt ein Knochensplitter der Schutzheiligen.

(Foto: Manfred Neubauer)

Ob das "Kochelsee-Wunder" dem Einsatz der Heiligen zu verdanken ist oder nur einer Wetterkapriole, ist eine Glaubensfrage. Jedenfalls werde Anastasia bis heute von vielen Menschen der Region und weit darüber hinaus verehrt, sagt Neuner. Zwei Tage im Jahr sind ihr gewidmet, der zweite Weihnachtstag und Pfingstmontag. "Da halten wir um 14 Uhr eine Andacht in der Kapelle ab, danach wird die Büste hervor geholt und jedem Gläubigen auf den Kopf gesetzt." Um die 50 Menschen fänden sich regelmäßig dazu ein; Anastasia spiele bis heute eine große Rolle in der wechselvollen Geschichte des Klosters.

Nachdem die Benediktiner im Zuge der Säkularisation vertrieben wurden, gehörte es 1805 bis 1819 einem Privatmann: Der Fabrikant Joseph von Utzschneider betrieb dort die Glasproduktion und holte den Optiker Joseph von Fraunhofer nach Benediktbeuern. "Der hatte aber mehr Interesse an der Qualität als an der Quantität", sagt Neuner. "Utzschneider konnte nicht den erhofften Umsatz erzielen und musste das Klostergelände an den Staat zurückgeben."

In der Folge wurde Benediktbeuern als Heim für Behinderte und Kriegsinvalide, als Lungenheilanstalt und sogar als Gefangenenlager genutzt. 1930 kauften es die Salesianer, um eine eigene Hochschule für Philosophie und Theologie zu errichten. Die mussten sie vor drei Jahren aus finanziellen Gründen zwar einstellen, doch füllen sie das Kloster weiterhin mit Leben. Sie betreiben eine Jugendherberge, den Klosterladen und das Zentrum für Umwelt und Kultur (ZUK) und bieten Fortbildungskurse für Schulklassen an. Das ZUK hat sich etwa der Renaturierung des Loisachmoors verschrieben, dem Vogelschutz und der Weiterbildung in Sachen Umweltschutz. So hat das ZUK auch die Rundwanderwege entwickelt und beschildert, auf denen man das geschichtsträchtige Moorgebiet heute gefahrlos erkunden kann.

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