SZ-Serie: Bau-Geschichten:Ikonen für zwischendurch

Die Geretsrieder Petruskirche ist ein moderner Bau, der im Inneren durch seine evangelische Schlichtheit besticht. Zweimal im Monat aber verwandelt Petros Mastoridis sie in einen prunkvollen Raum mit gold glänzendem Inventar: für die griechische Gemeinde, die dort ihren orthodoxen Gottesdienst hält.

Von Felicitas Amler

Was für ein Kontrast: die schlichte, zurückgenommene und farblich gedämpfte Schönheit dieser Kirche und das überbordend prunkvolle, gold-glänzende Inventar eines griechischen Gottesdienstes. Zweimal im Monat verwandelt sich die evangelische Petruskirche in Geretsried in ein orthodoxes Gotteshaus. Seit die ersten Griechen in den Sechzigerjahren als Gastarbeiter in die Stadt kamen, ist dies ihre religiöse Heimstatt. Petros Mastoridis spricht von einem sehr guten Verhältnis: "Brüderlich und schwesterlich." Aber um der Kirche den richtigen Rahmen für die etwa zweistündige opulente byzantinische Liturgie zu geben, muss der Vorsänger immer schon eine halbe Stunde vor der Zeit da sein. Er holt die zusammenklappbare prächtige Ikonostase aus dem kleinen Lagerraum, die Leuchter und Kerzen, den Tisch für die Gaben, Decken in Gold und Rot und nicht zuletzt das arabeskenverzierte goldglänzende Kruzifix, das auf der einen Seite den gekreuzigten, auf der anderen den auferstandenen Jesus zeigt.

Architekturserie 2017

Vorsänger Petros Mastoridis bringt für die griechisch-orthodoxen Gottesdienste Prunk und Glanz in das Haus.

(Foto: Hartmut Pöstges)

In ihrem eigentlichen Zustand sei die Petruskirche für griechische Gläubige eher "eine Halle", sagt Mastoridis. Außer der Wandmalerei hinter dem Altar habe sie ja keine Ausschmückungen: "Und bei uns ist alles bemalt."

Der 43-Jährige, dessen Eltern 1968 nach Deutschland kamen, ist in Geretsried aufgewachsen. Er ist dort in die Griechische Schule gegangen, die es seinerzeit noch gab, und auch zu Hause wurde in seiner Kindheit nur Griechisch gesprochen. Inzwischen ist Mastoridis Bank- und Versicherungskaufmann und wohnt mit seiner griechischen Frau und drei Kindern im Alter zwischen 16 Monaten und neun Jahren in Wolfratshausen. Seine Bindung an die Petruskirche aber ist stark: Dort wurden seine Eltern Elisabeth und Theodoros 1972 getraut. Und dort hat sich schon früh seine Vorsänger-Laufbahn abgezeichnet. Mastoridis erinnert sich schmunzelnd daran, wie er einmal als Sechs- oder Siebenjähriger mit seiner Klasse da war: "Unser Lehrer war Pfarrer Stavros. Aber der Vorsänger war nicht da." Der Pfarrer habe daher die Kinder aufgefordert: "Jetzt kommt einer von euch raus und liest die Psalmen." Er habe sich weggeduckt: "Denn Altgriechisch konnte ich noch nicht so gut." Und es sei dann tatsächlich ein anderer "rausgezogen" worden. "Aber damals habe ich mir gesagt: Das möchte ich mal lernen."

Architekturserie 2017

Petruskirche mit Campanile.

(Foto: Hartmut Pöstges)

Und das tat er später auch. Lernte das byzantinische Notensystem, besuchte den Kantorenchor in München - "eine gute Stimme habe ich ja" - und trat schließlich dem Verein für byzantinische Musik bei. "Ich hatte den Drang, unbedingt in der Kirche zu helfen." Der Vorsänger sei nach dem Pfarrer die zweitwichtigste Person im griechisch-orthodoxen Gottesdienst, sagt Mastoridis. Der Pfarrer der Geretsrieder Griechen ist Georgios Siomos. Er kommt zu den Gottesdiensten aus München herausgefahren, denn Geretsried ist eine Zweigniederlassung der dortigen griechisch-orthodoxen Allerheiligenkirche.

SZ-Serie: Bau-Geschichten: Hausherr Theo Heckel schätzt die Schlichtheit der evangelischen Petruskirche.

Hausherr Theo Heckel schätzt die Schlichtheit der evangelischen Petruskirche.

(Foto: Harry Wolfsbauer)

Um zu betonen, wie gut sich die Griechen in der Petruskirche aufgenommen fühlen, sagt Mastoridis: "Eigentlich ist das unsere Kirche." Seine Kinder jedenfalls fragten vor dem Gottesdienst immer: "Fahren wir nach München oder in unsere Kirche?" Nach den orthodoxen Ritualen mit dem Auftischen der selbst gebackenen Prosphora-Brote, einer Prozession durch die ganze Kirche zum Altar und dem Ritual mit dem Kelch, aus dem jeder Gläubige mit einem Löffel Wein und Brot zu sich nimmt, verwandelt sich die Petruskirche wieder in ein evangelisches Gotteshaus. Die üppigen Ausstattungsstücke sind dann im Lager und in einem speziellen Schrank verwahrt. Pfarrer Theo Heckel schätzt die Schlichtheit, welche die Petruskirche alltags ausstrahlt - weil sie die Konzentration aufs Wort bewirke.

Architekturserie 2017

Eine Marien-Ikone.

(Foto: Hartmut Pöstges)

Heckel ist zusammen mit seinen Pfarrer-Kollegen Georg Bücheler und Christian Moosauer für etwa 4900 evangelische Geretsrieder zuständig. "Es wird pro Jahr ein Prozent weniger", sagt er. Der Pfarrer weiß um die realen und die spirituellen Vorzüge der Architektur der Petruskirche. Die Akustik sei "wunderbar", sagt er. Denn es gebe keine einander direkt gegenüberliegenden großen Wände, die den Ton gefangen nehmen könnten: "Man hört auf allen 380 Sitzplätzen." Wer hier rede, brauche keinen Verstärker. Die vom Architekten Franz Lichtblau gewählte Form eines Zelts wiederum entspreche dem theologischen Gedanken der Begegnung: "Moses auf dem Weg durch die Wüste", assoziiert Heckel. Für die Vertriebenen, die Geretsried nach dem Zweiten Weltkrieg aufbauten, habe die Petruskirche außerdem diese Symbolik gehabt: "Wir müssen Abschied nehmen von der alten Heimat, aber wir können Gott mitnehmen."

In seiner Welt- und Glaubenssicht gefällt dem Pfarrer aber besonders das Wandgemälde hinter dem Altar von Hubert Distler. Es zeigt Petrus in drei Szenen als nicht gerade vorbildliche, eher tragische Figur - zweifelnd, verleugnend, dogmatisch -, die dennoch von Gott angenommen ist. "Sachen, die man verbeutelt hat, kann man zugeben", so interpretiert Heckel es und sieht in der Darstellung "einen protestantischen Petrus".

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