SZ-Adventskalender:Schwieriger Neuanfang

Nach jahrelanger Gewalt flieht eine Familie vor brutalem Vater

Von Claudia Koestler, Bad Tölz-Wolfratshausen

"Das Leben wieder in den Griff kriegen", so nennt Elisabeth Oswald (Name geändert) die schwierige Aufgabe, vor der sie und ihre drei Kinder stehen. Denn sie wagen nach viel zu langen Jahren häuslicher Gewalt einen kompletten Neuanfang. Vor mehr als 20 Jahren lernte Elisabeth Oswald ihren Ehemann kennen. Im Laufe der Jahre wurde er immer aggressiver, auch gewalttätig. Immer häufiger schlugt er so stark zu,dass seine Frau Brüche und starke Prellungen davontrug. "Die Ärzte im Krankenhaus haben die Verletzungen und ihre Ursachen natürlich erkannt", sagt die dreifache Mutter. Doch sie konnte sich nicht dazu durchringen, den Mann anzuzeigen. "In der Therapie hat man mir gesagt, dass ich mich durch eine schwierige Kindheit wohl darauf trainiert habe, alles zu akzeptieren und hinzunehmen", erzählt sie. Ihr Mann redete ihr ein, sie sei selbst schuld: "Er hat immer behauptet, ich würde ihn dazu bringen, so auszurasten, ich wäre also die Ursache und alles meine Schuld." Als sie ihn doch einmal anzeigen wollte, weil er eines der Kinder so stark in der Öffentlichkeit schüttelte, dass Passanten die Polizei riefen, wischte einer der Beamten das Problem vom Tisch: Er sei wohl ein emotionaler Vater.

Als Oswald erneut schwanger wurde, kam es zu einem weiteren brutalen Vorfall. Aufgrund einer Gesetzesänderung wäre es für die Familie finanziell von Vorteil gewesen, wenn das Kind noch im alten Jahr auf die Weltgekommen wäre - doch es war für Februar erwartet. Deshalb stieß der Vater die Mutter die Treppe hinunter, um eine Frühgeburt auszulösen. Bei dem Sturz brach sich die Mutter mehrere Knochen, das Kind kam zu früh auf die Welt - und trug bleibende Schäden davon. Das, eine schwere Krebserkrankung und ein weiteres Erlebnis von Gewalt durch den Mann legten bei Elisabeth endlich den Schalter um. Als der Vater beim Heimkommen über die Schuhe eines der Kinder stolperte, geriet er so in Rage, dass er das Kind würgte, bis es blau anlief. Nur weil gerade Bekannte zu Gast waren, gelang es Elisabeth ihn zu bewegen, dass er von dem Kind abließ. Stattdessen griff er zum Messer und bedrohte sie. Die Bekannten griffen rettend ein und sie eskortieren Mutter und Kinder sicher aus der Wohnung.

Elisabeth Oswald trennte sich und reichte die Scheidung ein. Weil der Ehemann das nicht akzeptieren wollte und die Familie nicht nur verfolgte, sondern auch drohte, sie "wegzuräumen", zog die Familie ein weiteres mal um, in eine kleine Wohnung. Doch schon beim ersten Umzug konnten sie kaum etwas mitnehmen, nur ein paar persönliche Gegenstände. Die Kinder schlafen deshalb derzeit auf ausrangierten Metallgestellen von Freunden, die Familie hat weder Betten, Matratzen noch Tisch, Schrank, Couch oder Waschmaschine. "Die Situation ist sehr anstrengend", sagt Elisabeth Oswald, die noch immer unter den Nachwirkungen der Gewalt und der Krebserkrankung leidet, sich davon aber nicht unterkriegen lassen will. "Wir wollen es schaffen, den wirklichen Neuanfang. Für uns. Das bin ich mir und meinen Kindern schuldig."

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: