Stromgewinnung:Auf dem Weg nach Utopia

Bis 2035 soll der Landkreis energieautark sein. Die Bürgerstiftung Energiewende Oberland hat in zehn Jahren erreicht, dass mehr Solar- und Biogasanlagen errichtet wurden, doch jetzt wird nicht mehr so viel investiert

Von Pia Ratzesberger, Bad Tölz-Wolfratshausen

Kein Erdöl soll mehr in den Öfen der Raffinerien verbrennen, keine Braunkohle mehr aus den Erdschichten gegraben werden. Strom und Wärme ganz ohne fossile Brennstoffe, der gesamte Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen nur mit Hilfe erneuerbarer Energie versorgt. In zwanzig Jahren, im Jahr 2035, soll das die Realität sein - zumindest, wenn es nach dem Kreistag geht. Zehn Jahre nach dem Beschluss der Kreisräte, zehn Jahre nach Gründung der Bürgerstiftung Energiewende Oberland (EWO) stellte Letztere am Mittwochabend im Tölzer Kurhaus zum ersten Mal Statistiken vor, die zeigen: Im Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen hat sich durchaus etwas verändert, es werden mehr regenerative Energien genutzt, betrachtet man die vergangenen zehn Jahre. In manchen Bereichen aber hat sich in den letzten drei, vier Jahren kaum noch etwas getan.

Biogas

Bad Tölz-Wolfratshausen steht lange nicht so gut da wie etwa der Nachbarlandkreis Weilheim-Schongau, der neben Miesbach ebenfalls Mitglied der Initiative ist - allerdings auch eine größere Fläche und Bevölkerung hat. Gab es 2005 nur etwa sechs Biogasanlagen im Tölzer Kreis, sind es heute knapp mehr als zehn, die Gas für Strom und Wärme erzeugen. Im Landkreis Weilheim-Schongau dagegen gibt es mittlerweile 30 Anlagen, wobei die Statistik zeigt, dass vor allem bis zum Jahr 2011 viel gebaut wurde. Dann aber stagniert die Anzahl der Biogasanlagen in beiden Kreisen. "Die Bundesregierung hat die Einspeisevergütung damals gesenkt, deshalb war es für viele nicht mehr wirtschaftlich, neue Anlagen zu bauen", sagt Andreas Scharli, Berater am Kompetenzzentrum der Energiewende Oberland.

Kloster Benediktbeuern Photovoltaik Solaranlage

Auch das Aktionszentrum des Klosters Benediktbeuern nutzt die Kraft der Sonne, um eigenen Strom zu erzeugen.

(Foto: Manfred Neubauer)

Photovoltaik

Ganz ähnlich ist es bei den Photovoltaik-Anlagen, gab es davon vor zehn Jahren noch weniger als 1000 Stück im Landkreis, sind es heute mehr als 3000. Doch auch hier wird seit drei Jahren nicht mehr so viel investiert wie zuvor, weil Besitzer von Solaranlagen nicht mehr solch hohe Vergütungen erhalten wie früher, wenn sie Strom von ihrem Dach aus ins Netz einspeisten.

Biomasse

Im Gegensatz zu Biogas und Photovoltaik zeigt die Kurve bei den Biomasseanlagen im Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen aber eindeutig nach oben. Die Anzahl der Anlagen hat sich seit 2005 verdreifacht, heute stehen mehr als 15 in der Region. "Das ist eine Besonderheit, denn hier wird vor allem viel Restholz aus unseren heimischen Wäldern genutzt, davon gibt es sehr viel und deshalb lohnt sich das", sagt Scharli.

Windkraft

Bezeichnend ist außerdem: Für die Windkraft hat die EWO, die das Forschungsprojekt unter anderem mit der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität durchgeführt hat, noch keine Zahlen veröffentlicht. Denn hier gibt es kaum Projekte, zwischen Icking und Lenggries steht bisher kein einziges Windrad. "Auf der Windkraft sollte von Beginn an nicht der Fokus liegen, schließlich haben wir keine Windstärken wie an der Nordsee", sagt Gerald Ohlbaum aus Sachsenkam, Vorsitzender des Stiftungsrats und Gründungsmitglied. "Den ein oder anderen Investor aber hätte es schon gegeben."

Könige der Sonne

Die Bürgerstiftung Energiewende Oberland hat am Mittwochabend im Tölzer Kurhaus den Solarstrompreis vergeben. Kriterium war dabei, welche Gemeinde oder welche Stadt im vergangenen Jahr den höchsten Zuwachs an neu installierter Photovoltaikleistung zu verzeichnen hatte. Den ersten Platz sicherte sich die Stadt Bad Tölz, die um 1518 kWp (vom Englischen: Watt Peak) zulegte. Den zweiten Platz belegte die Gemeinde Ingenried aus dem Landkreis Weilheim-Schongau mit 1009 kWp. Auch der dritte Platz ging an den Nachbarlandkreis, geehrt wurde Weilheim mit 668 kWp.ratz

Ohlbaum zufolge mangele es bei solchen Projekten am Willen der Bevölkerung. Selbst Befürworter der Energiewende seien plötzlich gegen Windkraft, wenn sie das Windrad vom eigenen Garten aus sehen. Andere Vorhaben dagegen sind nicht an den Bürgern, sondern schlichtweg an den geografischen Gegebenheiten gescheitert. Nach zahlreichen Probebohrungen musste das Geothermie-Projekt in Gelting zum Beispiel abgebrochen werden, weil das Wasser Tausende Meter unter der Erde zwar heiß genug war - aber innerhalb einer Sekunde zu wenig davon an die Oberfläche trat.

Perspektive

Zahlen, wie viel die erneuerbaren Energien mittlerweile am Gesamtstrom- und Wärmeverbrauch ausmachen, hat die Energiewende Oberland bisher nicht. Dafür müssen erst noch die Daten für die restlichen Bereiche wie Geothermie, Wasser- und Windkraft erhoben werden. Fragt man bei Stefan Drexlmeier nach, ob er das Ziel der Unabhängigkeit von fossilen Brennstoffen im Jahr 2035 noch für realistisch hält, sagt er: "Wenn wir uns die vergangenen zehn Jahre anschauen, würde ich Ja sagen." Dann aber schiebt er nach: Betrachte man nur die letzten zwei Jahre, laute seine Antwort Nein. Stellt man die gleiche Frage Gerald Ohlbaum, zögert er einen Moment und sagt dann vorsichtig: "Ja, doch, denke ich schon." Aber es ist schließlich auch noch 20 Jahre Zeit.

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