Siedlungsdruck und Verkehrsinfarkt:Die Schattenseiten der Prosperität

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Landrat Josef Niedermaier bekannte sich in Eurasburg klar zum Ziel, den Individualverkehr künftig zugunsten des ÖPNV zurückzudrängen. (Foto: Harry Wolfsbauer)

Landrat Josef Niedermaier bezieht in der Eurasburger Bürgerversammlung Stellung zu Infrastrukturproblemen. Mehr Linien, eine bessere Taktung und einheitlichere Tarife sollen beim Umstieg auf Öffentlichen Nahverkehr helfen

Von Benjamin Engel, Eurasburg

Die Reaktionen gleichen sich: Stehen die Menschen im Stau oder fühlen sich im Vorankommen ausgebremst, sind viele verärgert. Beispiel Eurasburg: Auf der Straße zwischen den Ortsteilen Lengenwies und Beuerberg ist das Tempo seit neuestem auf 60 Stundenkilometer beschränkt. Früher galt die Regelung nur bei Nässe. In der jüngsten Eurasburger Bürgerversammlung ärgerte sich darüber ein Anwohner. Er verstehe nicht, warum dort nun generell Tempo 60 vorgeschrieben sei. Die Straße lasse doch höhere Geschwindigkeiten zu. Bürgermeister Moritz Sappl (GWV) verwies auf schlechte Reibwerte, weswegen das Straßenbauamt Tempo 60 angeordnet habe.

Vom Lokalen weitete Landrat Josef Niedermaier (FW) den Blick auf regionale Verkehrs- und Infrastrukturherausforderungen. "Konflikte sind unausweichlich", stellte er fest. Als Vorsitzender im Planungsverband Region Oberland - das Gebiet umfasst die Landkreise Miesbach, Bad Tölz, Garmisch und Weilheim - arbeite er daran, die Pläne für Verkehrsverbindungen und Infrastruktur fortzuschreiben.

In der prosperierenden Region nehme der Verkehr zu, worüber alle jammerten. "Wir alle sind aber Teil des Problems", mahnte er. Noch immer setzten sich viele ganz selbstverständlich ins Auto, um an ihr Ziel zu kommen. Je mehr sich die Siedlungsgebiete über die Region verteilten, desto mehr seien die Anwohner auf das Auto angewiesen. Daraus folgerte der Landrat, dass sich der Wohnraum auf die Siedlungsschwerpunkte konzentrieren müsse, um weniger Verkehr zu erreichen. Im Regionalplan könne festgelegt werden, dass sich Siedlungsstrukturen nur entlang der Hauptinfrastrukturachsen entwickeln dürften. Doch dann beschwerten sich die Kommunen, dass sie nicht selbst über ihre Entwicklung entscheiden könnten, beschrieb Niedermaier die Problematik.

Zum Ziel, den Individualverkehr zurückzudrängen, bekannte sich Niedermaier ausdrücklich. Dieser solle durch öffentlichen Nahverkehr (ÖPNV) ersetzt werden. Das werde aber umso schwieriger, je weiter die Orte von den Ballungszentren entfernt seien. Die Strecken würden länger. Weniger Leute nutzten die Beförderungsmittel, was das System teurer mache. Der Landrat mahnte, dass der ÖPNV-Ausbau in der Region erst einmal viel Geld kosten werde. "Nur dann, wenn wir Angebote schaffen, die dicht getaktet sind, wird dies die Bereitschaft steigern, umzusteigen", sagte er.

Was das Nahverkehrsthema zusätzlich erschwert, sind die unterschiedlichen Tarifsysteme in der Region. So sind die Landkreise Miesbach und Weilheim-Schongau nicht im Münchner Verkehrs- und Tarifverbund (MVV), so wie der Großteil des Tölzer Landkreises. In Eurasburg erklärte Landrat Niedermaier zumindest, dass er sich für Busverbindungen zwischen der Kommune und Penzberg im MVV-Tarif einsetzen würde. Das würde die Situation für Eurasburger Schüler erleichtern. Zudem kündigte er an, dass über eine Alpenquerlinie mit Bussen von West nach Ost in der Region nachgedacht werde.

Laut Prognosen werden in zehn Jahren 300 000 bis 500 000 Menschen mehr im Großraum München leben. Wenn die Kommunen darauf nicht reagierten und nichts machten, werde der Wohnraum knapper und teurer. "Dann können sich Einheimische die Region nicht mehr leisten", erklärte Niedermaier. Kein fernes Szenario laut dem Landrat: "An diesem Punkt sind wir."

© SZ vom 25.06.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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