Serie:Von Räubern, Moorweiblein und der Wilden Jagd

Gisela Schinzel-Penth hat Sagen und Legenden im Landkreis erforscht - Die Geschichten speisen sich aus der Angst vor dem Unbekannten.

Ingrid Hügenell

Bedrohlich, dunkel, weglos, so war der Wald früher. Dazu voller wilder Tiere von der Wildkatze über Uhu und Wolf bis hin zum Bären. Im unwegsamen Gelände lauerten zudem Räuberbanden. In den Wald ging man, weil man Holz brauchte oder jagte, aber sicher nicht, um sich zu erholen. Die Gefahr und viele für die Menschen damals unerklärliche Phänomene führten zu zahlreichen Geschichten über Naturgeister und mysteriöse Erscheinungen. Gisela Schinzel-Penth hat Sagen und Legenden erforscht, die auch im Landkreis lebendig waren und hat so auch einen Einblick gewonnen in die Lebenswelt der Menschen.

Gibt es bei uns im Landkreis Waldgeister, Elfen, Gnome, Trolle?

Schinzel-Penth: Geben tut sie es natürlich nicht wirklich, aber in der Sage gibt es sie schon. Die Leute haben früher wirklich geglaubt, dass es Naturgeister wie Elfen gibt. Die Elfen lebten im Hochgebirge, die Holzmännlein und Moosleute im Wald. Die sind klein von Gestalt wie die Zwerge, und sie sollen im Innern der Berge hausen und in den Wäldern rundherum. Ihr Leben ist ganz eng mit dem der Bäume verknüpft. Die wohnen nach der Vorstellung der Leute auf bestimmten Bäumen und wird ein Baum gefällt oder entrindet, dann muss das Waldgeistlein, das darauf lebt, sterben. So war früher die Vorstellung. Man glaubte auch an kleine Zwerge oder Kobolde, die Schrazl.

Wenn Sie sagen früher: Wie lange ist das her?

Fünfzig Jahre sicher.

So lange hat sich das gehalten?

Das hat sich sehr lange gehalten. Die Leute haben früher auch geglaubt, dass sich die Moos- und Holzleute in Nachtvögel verwandeln können, in Eulen oder Käuzchen. Die hätten damals durch ihre schaurigen Rufe die Leute vor drohendem Unheil gewarnt, dass etwa der Hof abbrennt oder jemand stirbt. Vor vielleicht 50 Jahren haben die Holzknechte noch beim Fällen eines Baumes mit der Axt drei Kreuze auf dem Baumstumpf eingeschnitten und damit eine Asylstelle geschaffen für die Holz- oder Moosleute, damit die sich vor der Wilden Jagd in Sicherheit bringen konnten.

Was ist die Wilden Jagd?

Die Wilde Jagd kommt in Nächten mit starken Orkanen, meistens zwischen November und Heiligdreikönig. In diesen Nächten wird sie von der Hölle losgeschmiedet und darf nach dem Glauben der Leute ihr Unwesen treiben. Ihr Anführer ist Wotan. Diese Vorstellung war in ganz Nordeuropa verbreitet. Auch unterm Jahr wurden gefährliche Stürme mit der Wilden Jagd in Verbindung gebracht. Ein Mensch, der den Weg der Wilden Jagd gekreuzt hat, musste sich ganz richtig verhalten, musste sich auf den Boden legen, die Arme und Beine überkreuzt, und Stoßgebete beten bis zum Morgenläuten, dann konnte ihm die Wilde Jagd nichts anhaben.

Und wenn er das nicht wusste?

Dann konnte es passieren, dass er mitgerissen und erst fünfzig oder sechzig Kilometer weiter wieder herunterkam. Vielleicht haben manche auch einen Ausflug gemacht, in ein Wirtshaus, und haben dann zu Hause erzählt, sie sind von der Wilden Jagd mitgenommen worden. Das ist die heutige rationale Erklärung. Die Wilde Jagd hat auch die Moorweiblein und Holzmännchen gejagt und zerrissen. Weil sie als gut galten, musste man ihnen Schutz bieten, wenn ihr Baum gefällt wurde.

Das klingt so, als hätten die Menschen früher richtig viel Angst gehabt.

Vor der Wilden Jagd hatten sie sehr, sehr viel Angst, aber auch sonst, es war ja gefährlich in den Bergen und den Wäldern. Es war nicht einfach für die Menschen.

Können Sie noch ein, zwei Geschichten erzählen?

Es gibt eine Geschichte von einem Schrazl im Isarwinkel. Der soll auf dem Grat von der Kotalm zum Schröttelstein sein Unwesen getrieben und Menschen und Tiere erschreckt haben. Darum haben beim Almabtrieb die Bäuerinnen jedes einzelne Tier mit Weihwasser besprüht und ihnen geweihtes Salz auf die Zunge gelegt, damit kein Tier abstürzt. An dieses Schrazl soll der Name Schröttelstein noch heute erinnern.

Gibt es auch Geschichten über andere Naturgeister?

Viele. Im Lettenholz zwischen Tölz und Reichersbeuern, das war früher ein Moorwald, soll ein Moorweiblein sein Unwesen getrieben und Leute erschreckt haben. Auch ein Kopfloser soll dort umgegangen sein. Dort soll es auch Irrlichter gegeben haben, das war für die Leute sehr unheimlich. Aus dem großen Waldgebiet um Dietramszell gibt es viele gruselige Geschichten, die ich erzählt bekommen habe, aber nicht aufschreiben durfte.

Wie würden Sie die Rolle beschreiben, die der Wald in den Sagen spielt?

Das war einfach das Unheimliche, vor allem bei Nacht und bei Nebel. Wenn man sehr viel Phantasie hat, kann man sich schon erschrecken, zumal bei Nebel alles anders aussieht.

Woher kommen solche Vorstellungen?

Ich denke, die stammen noch aus der vorchristlichen Zeit. Vieles hat sich lange gehalten. Zum Beispiel der heilige Baum von Tölz oder die heiligen Haine (Kasten). Vieles aus der germanischen Überlieferung wie die Weltenesche Yggdrasil oder die Nornen kommt in den Sagen vor.

Es gibt ja auch Spuren der Kelten im Landkreis

Ja, viele. Es gab eine keltische Seherin oder Priesterin, auf dem Lausberg zwischen Werdenfelser Land und Isarwinkel, die dort ihre Prophezeiungen gesprochen hat. Zu der sind viele gekommen und haben Opfer gebracht. Die war fast wie eine Pythia. Das liegt mindestens 1500 Jahre zurück. Die Seherin war ja noch heidnisch.

Kann man aus den Geschichten ableiten, wie die Menschen früher den Wald wahrgenommen haben?

In der Regel eher bedrohlich. Andererseits haben sie natürlich das Holz gebraucht zum Heizen und als Baumaterial. Es sind sehr viele Unfälle passiert beim Baumfällen. Der Wald war die Dunkelheit, Gefahr. Es gab ja keine Straßen, nur gefährliche Wege, und Räuber haben dort gehaust. Im Isarwinkel und bei Sachsenkam gab es in den großen Wäldern bis ins 19. Jahrhundert Räuber. Man konnte nicht einfach so durchgehen wie heute.

Kommen die Bären und Wölfe, die es damals noch in den Wäldern gegeben hat, in den Sagen auch vor?

Ja, es gibt viele Geschichten, die von Holzknechten handeln, die von Bären angefallen worden sind. Und in Wolfratshausen gibt es eine berühmte Sage, die allerdings eine Wandersage ist, die es an verschiedenen Orten gibt. Sie erzählt, wie einer zu einem Wolf in eine Falle gefallen ist, weil er betrunken war. Der musste dort hocken mit dem Wolf und warten, bis er befreit wird. In der Sage ist es ein Geiger, der um sein Leben gegeigt hat, bis alle Saiten gerissen waren, weil der Wolf dadurch beruhigt war und nicht angegriffen hat. Am Morgen hat ihn der Förster gerettet.

Das zeigt eine zwiespältige Einstellung. Zum einen macht der Wald Angst...

..und andererseits ist der Wald heilig. Der Baum ist als Lebewesen früher fast gleichwertig mit dem Menschen geschätzt worden. Man hatte Ehrfurcht vor den Bäumen. Der Eibenwald bei Paterzell war so ein heiliger Wald. Dort gab es heilkräftige Quellen und auch keltische Priester. Zu solchen Orten sind die Leute hingewallfahrtet, auch ins Pfannholz bei Tölz. Der Baum ist in den Sagen fast immer ein Freund des Menschen.

Das heißt, der Baum ist gut, aber die Tiere im Wald sind eher gefährlich.

Ja, und die Geistwesen.

Lesen Sie die Geschichten, die Sie gesammelt haben, Ihren Enkeln vor?

Nur wenn es besonders nette Geschichten sind. Viele sind einfach zu gruselig. Eigentlich dienen sie der Heimatforschung. Manchmal rufen mich Leute an, die wissen wollen, ob ich nähere Koordinaten habe zu den Schätzen, die in den Geschichten vorkommen. Da sage ich immer, wenn ich sie hätte, hätte ich die Schätze schon ausgegraben.

Gehen Sie selbst gern in den Wald?

Ich schon. Mein Vater hat gern Rehe beobachtet, der ist mit uns früh um vier in den Wald gegangen und hat uns alles erklärt. Ich habe im Wald keine Angst, außer, wenn ich einen Wald gar nicht kenne und fürchte, dass ich mich verirre. Das ist eine menschliche Grundangst. Gerade im Gebirge kommt man vielleicht irgendwohin, und dann ist da ein Felsabsturz. Es gibt etliche Sagen aus dem Gebiet, in denen sich sogar Jäger oder Wilderer verirrt haben.

Wie ist Ihre Beziehung zum Wald?Sehen Sie auch Moosweiblein und Elfen?

(Lacht) Nein, gar nicht. Ich sehe den Wald schon rational, aber ich liebe Bäume. Wenn ich als Kind traurig war, bin ich auf unseren Kastanienbaum geklettert, habe mich im Wind schaukeln lassen, und dann ist es mir wieder besser gegangen. Für mich war ein Baum immer ein tröstendes Lebewesen, das einen liebevoll empfängt. Ich hab Rotz und Wasser geheult, als dieser Baum gefällt werden musste.

Interview: Ingrid Hügenell

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