Seismologische Messungen:Bewegende Momente

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Mächtige Vibrator-Fahrzeuge versetzen Anwohner ins Staunen und lassen die Erde in und um Königsdorf beben - wenn nicht gerade Dynamit in die Luft gesprengt wird.

Isabel Meixner

In den schmalen Kiesweg "Am Bachfeld" in Königsdorf würde sich kein schweres Fahrzeug verirren. Normalerweise. Doch seitdem so genannte Vibrator-Fahrzeuge die Erde in und um Königsdorf regelmäßig zum Schwingen bringen und für die Geothermie-Voruntersuchungen 150 Kilometer Kabel verlegt wurden, herrscht dort Ausnahmezustand. Das Unternehmen A.I.R. Geokraft aus Gmund am Tegernsee lässt noch bis Ende des Monats das 52 Quadratkilometer große Gebiet zwischen Geretsried Süd und Wackersberg sowie von Eurasburg bis Dietramszell nach geeigneten Stellen absuchen, an denen von 2015 an Geothermie genutzt werden könnte. Das 150 bis 160 Grad heiße Wasser wird in einer Gesteinsschicht in fünf Kilometer Tiefe vermutet.

Die Vibrator-Fahrzeuge bringen mit einem schweren Metallstempel die Erde zum Wackeln. Überwacht werden die Messungen in einem weißen Messwagen nördlich von Königsdorf. (Foto: Hartmut Pöstges)

Die im Untersuchungsgebiet angebrachten roten Bändchen markieren Stellen, an denen die Vibrator-Fahrzeuge rütteln sollen, die gelben, wo sich die 60 000 im Boden befestigten Geophone befinden und die Erschütterungen aufnehmen. Auch Am Bachfeld weht ein rotes Bändchen im Wind, und so röhren auch hier drei in Kolonne fahrende weiße Vibrator-Fahrzeuge und bewegen sich mit ihren mannshohen Reifen langsam voran. Das ohrenbetäubende Motordröhnen erinnert an das Turbinengeräusch eines Flugzeugs.

Eine Anwohnerin nähert sich vorsichtig. An ihrer Hand hat sie einen kleinen Buben, der mit großen Augen die Vibrator-Fahrzeuge mustert. Er sieht, wie die Trucks einen schweren Metallstempel in der Größe einer Schreibtischplatte zu Boden lassen. Wie sich die Fahrzeuge, die pro Tag 200 bis 300 Liter Diesel verbrauchen, auf diese Platte stützen. Wie sich die überdimensionalen Reifen leicht heben. Und wie der Stempel deutlich sichtbar zu wackeln beginnt.

Erst ist das Beben kaum zu merken. Dann steigern die Vibrator-Fahrzeuge ihre Frequenz langsam von zwölf auf 96 Hertz, begleitet von einem hohen Pfeifen, das umso greller wird und schließlich nicht mehr zu hören ist, je stärker die Bodenplatte anfängt zu schwingen. Die Erde beginnt zu wackeln, in den Füße kribbelt es. Nur für ein paar Sekunden.

Die Erschütterungen wären noch deutlicher zu spüren, müssten die Fahrzeuge nicht mit "low force" rütteln. Im Ortsinneren dürfen sie nämlich einen gewissen Grenzwert nicht überschreiten. Feldleiter Matthias Otto, der die Messungen in Königsdorf und Umgebung begleitet, blickt auf ein graues Kästchen, das die Erschütterungen an der Außenwand eines angrenzenden Hauses misst. Zufrieden hebt er den Daumen in Richtung seiner Kollegen. Grenzwerte eingehalten.

Acht Mal wiederholen die Mitarbeiter der polnischen Firma Geofizyka Torun diesen Vorgang, zur Sicherheit, damit die Daten stimmen. Denn jedes vorbeifahrende Auto erzeugt Störfrequenzen, die die Geophone ebenfalls aufnehmen. Durch das Rütteln erzeugen die Bodenplatten Wellen im Untergrund, die von den verschiedenen Gesteinsschichten zu unterschiedlichen Zeitpunkten reflektiert und von den Geophonen aufgezeichnet werden. Durch diese Abstände ergibt sich ein genaues Bild des Untergrundes, erklärt Truppleiter Tobias Karp von Geophysik GGD, der mit seinem polnischen Kollegen Marek Motyl von Geofizyka Torun die Messungen leitet.

Drei Minuten sind vergangen, seit die Vibrator-Autos in den Kiesweg eingefahren sind. Die Erde hat aufgehört zu beben. Die Einsatzleiter sind zufrieden mit den Messungen, und so rollen die schweren Fahrzeuge zum nächsten rot markierten Punkt. Etwa 100 Punkte schaffen sie laut Karp täglich.

Überwacht wird das Ganze in einem weißen Messwagen mit hohen Funkantennen am nördlichen Ortseingang von Königsdorf. Dort kontrolliert ein Mitarbeiter auf verschiedenen Bildschirmen, ob die Wellen aufgezeichnet werden und die Geophone funktionieren, ob die Messwerte plausibel sind, wann und wo gerüttelt - oder ob doch gesprengt wird: An jedem vierten Messpunkt kommt Dynamit zum Einsatz. An Stellen, zu denen die Vibrator-Fahrzeuge nicht hinfahren können von den Grundstückseigentümern nicht dürfen.

Explosionswolken über Königsdorf? "Das hört sich spektakulärer an, als es ist", schränkt Andreas Schuck von Geophysik und Geotechnik Leipzip ein. Er beaufsichtigt die Untersuchungen im Auftrag von A.I.R. Geokraft. Denn das Dynamit explodiert in zehn Meter Tiefe, um die Druckwelle nicht in die Luft verpuffen zu lassen. An der Oberfläche sei davon kaum etwas zu spüren, sagt Schuck. Die Voruntersuchungen zur Geothermie-Nutzung dauern noch bis Montag, 26. März, an. So lange müssen die Einwohner der Ortschaften rund um Königsdorf noch damit rechnen, dass ab und an die Erde wackelt. Oder dass schwere Vibrator-Fahrzeuge in ihre schmale Anrainerstraße fahren.

© SZ vom 23.03.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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