Schauermärchen in Neuauflage:Geisterhund und Seeungeheuer

Gisela Schinzel-Penth hat ihre Bücher über Sagen und Legenden in Wolfratshausen, Fünfseenland und Tölzer Land neu herausgegeben. Seit mehr als fünf Jahrzehnten erforscht die Volkskundlerin die Überlieferungen

Von Wolfgang Schäl, Wolfratshausen/Starnberg

Schade, dass sie nur Ausgeburten der Fantasie sind, all diese seltsamen Gestalten und geheimnisvollen Orte, denen Gisela Schinzel-Penth ein Leben lang nachgegangen ist. Oder hat es den Geisterhund nicht womöglich doch gegeben? Hat er nicht wirklich im Bumperhölzl im Würmtal die Menschen mit seinem schaurigen nächtlichen Gebell erschreckt? Und was ist zu halten von den seltsamen Dingen, die sich die Bauern und Rossknechte einst in Bairawies erzählt haben? Da habe es seltsame Lichter und feurige Männer gegeben, hieß es, die all jene verfolgten, die nach Einbruch der Dunkelheit noch unterwegs waren. Denen soll dann nur noch das Kreuzschnalzen geholfen haben, ein Abwehrmittel der Fuhrleute.

Sagenserie

Das Marktgschlerf soll in Wolfratshausen sein Unwesen treiben und nachts in die Fenster schauen.

(Foto: Hartmut Pöstges)

Und was schließlich ist dran an jenem angeblichen Ungeheuer im Starnberger See, das unsagbar hässlich und riesig gewesen sein soll, ein grausliger Wurm, der seit der Erschaffung der Welt auf dem Grund des Sees ruht? Hoffentlich erhebt dieses Scheusal nicht irgendwann an einem unheilvollen Tag sein Haupt über den Wasserspiegel und kriecht heraus aus den Fluten, um alles Leben zu vernichten. Was man vom Marktgschlerf zu halten hat, das mit seinem bösen Blick in die Fenster der Häuser schaut und den Bewohnern Unheil bringt, das weiß man in Wolfratshausen ja ohnehin nur zu genau.

Schauermärchen in Neuauflage: Gisela Schinzel-Penth hat hunderte Sagen gesammelt.

Gisela Schinzel-Penth hat hunderte Sagen gesammelt.

(Foto: oh)

Seit mehr als fünf Jahrzehnten hat die 70-jährige Münchner Volkskundlerin und Schriftstellerin all jene Geschichten aufgelesen, die man sich einst zugeraunt hat, und hat sie nach Landstrichen regional aufgegliedert veröffentlicht, aus der Erkenntnis heraus, dass Leser doch immer am meisten interessiert sind an dem, was in ihrem unmittelbaren Lebensbereich geschieht. So gibt es einen neu überarbeiteten Band "Sagen und Legenden um Tölzer Land und Isarwinkel", sowie in einer dritten, ebenfalls ergänzten Auflage "Sagen und Legenden um Fünfseenland und Wolfratshausen", eine Sammlung, die in einem mehr als vierhundertseitigen, schön illustrierten Buch zusammengefasst ist und einen Schatz darstellt für all jene, die sich nicht nur für Geschichte, sondern auch für die mystischen Geschichten dahinter interessieren. Einiges davon ist sogar noch lebendig: der Hexenglaube beispielsweise, der nach der Erfahrung von Schinzel-Penth weiter verbreitet ist, als man im 21. Jahrhundert annehmen würde. Dies sei ihr erst bei der Recherche richtig klar geworden. Die Autorin hat mit Frauen gesprochen, die sich selber als Druidin und "weiße Hexe" betrachten und sich an verborgenen Orten treffen. Manche Informationen über Hexen hat sie nur unter der Zusicherung bekommen, dass die Quelle geheim bleibt, andernfalls könne es da schnell böses Blut geben in der Nachbarschaft. An solche Abmachungen habe sie sich immer gehalten. Die meisten Quellen hat Schinzel-Penth aber benannt und in einem ausführlichen Anhang dargestellt, denn ins Blaue hinein erzählt sind ihre Aufzeichnungen nicht. Viele haben einen historischen Kern, zumal jene, in denen es um Herrschergestalten geht. Sie hat in Archiven gestöbert, mit Pädagogen, Pfarrern und Heimatpflegern geredet, auch mit Politikern, darunter Manfred Nagler, noch lange, bevor er Landrat von Bad Tölz-Wolfratshausen wurde, und mit dem Münsinger Altbürgermeister Matthias Müller.

Die seltsamen Lichter und der Kreuzschnalzer

Allein in ihrem Buch "Sagen und Legenden um Fünfseenland und Wolfratshausen" schildert Gisela Schintzel-Penth fast 300 lange und kurze Geschichten - darunter diese: "Es war früher nicht ratsam, nach dem abendlichen Gebetläuten noch unterwegs zu sein. Wer sich zu dieser Zeit außerhalb des Bannkreises seines Dorfes oder gar bei einem Wegkreuz aufhielt, dem konnten seltsame Dinge widerfahren. Er konnte der Wilden Jagd, feurigen Männern oder anderen unliebsamen Erscheinungen begegnen. Wie in vielen anderen Gegenden Bayerns erzählten auch die Leute von Bairawies, dass Bauern oder Rossknechte, die sich vor nichts fürchteten und noch nach Einbruch der Dunkelheit mit ihren Fuhrwerken unterwegs waren, plötzlich seltsame, flackernde kleine Lichter über dem Kummet ihres Pferdes tanzen sahen. Manch einem ist dann doch ganz anders geworden und er hat sich rasch bekreuzigt, ein Stoßgebet gemurmelt und, wie es von alters her der Brauch ist, einen Kreuzschnalzer (Hiebe mit der Peitsche in Kreuzform) gemacht. Dann waren die unheimlichen Erscheinungen gewöhnlich ebenso plötzlich wieder verschwunden, wie sie erschienen waren."

An die Ergebnisse ihrer Recherchen habe sie sich streng gehalten, versichert Schinzel-Penth, "da ist nichts ausgeschmückt oder verändert". Von einigen Legenden habe sie "gerade noch den letzten Zipfel erwischt", bevor sie der Vergessenheit anheimgefallen wären. Das ist auch der Grund dafür, dass einige der Geschichten in wenigen Zeilen erzählt sind - was sie nicht weniger lesbar, sondern in ihrer Kürze nur umso spannender macht. Besonders reizvoll ist ja bekanntlich das Spekulative, alles, was man vermuten kann, ohne Genaues zu wissen.

Früher seien die Nachforschungen noch viel schwieriger gewesen, sagt Schinzel-Penth, die schon als Schülerin ihre lebenslange Leidenschaft für Volkserzählungen entdeckt hat. Wichtige Fundgruben waren die Bayerische Staatsbibliothek und das Münchner Literaturarchiv Monacensia. Einige Texte mussten aus dem Lateinischen übertragen werden, das Internet stand noch nicht zur Verfügung in den sechziger Jahren. Damals hatte sie in der Münchner Blutenburgsiedlung, in der sie aufgewachsen ist, die Geschichte von jenem betrügerischen Marksteinversetzer gehört, der nach seinem Tod gespukt haben soll - viele wussten es, aber niemand kannte die genaueren Hintergründe, auch ihr damaliger Lehrer nicht.

Und alsbald war die Neugier der damals 17-Jährigen geweckt, die so den Schwerpunkt ihres Lebenswerks gefunden hat: Allein 13 Bücher, die sie geschrieben hat, sind den Sagen und Legenden gewidmet. Wenn diese Unglückszahl jetzt nur nicht wieder allerlei schaurige Gestalten auf den Plan ruft - solche wie den Goggolore, das Untersbergmandl, den Schimmel ohne Kopf oder das Meerfräulein vom Ammersee.

Gisela Schinzel-Penth: Sagen und Legenden um Fünfseenland und Wolfratshausen, 25,99 Euro; Sagen und Legenden um Tölzer Land und Isarwinkel, 19,99 Euro, beide im Ambro Lacus-Verlag.

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