Schäftlarner Ortsgeschichte:Ein Schmuckstück in der Dorfmitte

Das Neuchl-Anwesen zählt zu den ältesten Hofstellen von Hohenschäftlarn. Seit es in Besitz der Gemeinde ist, steht es als Heimathaus für Besucher offen. Gepflegt wird es von Rentnern - ehrenamtlich

Von Katharina Schmid, Schäftlarn

"Heuer gibt's viele Zwetschgen", sagt Josef Arnold, 81, abgegriffener Trachtenhut, Pullunder über dem karierten Hemd, Stock in der Hand. Arnold steht in der Haustür des Neuchl-Anwesens und blickt auf die beiden Zwetschgenbäume im Garten, die er vor rund 25 Jahren selbst gepflanzt hat. Vor ihm erstreckt sich der Kräutergarten mit Frauenmantel, Majoran, Thymian und anderen heimischen Kräutern, angelegt vor zehn Jahren. Neben den Zwetschgenbäumen stehen Heumandl in der Sonne, erst kürzlich aufgerichtet. Und über Arnold, auf dem Balkon, blühen die Geranien, um die sich der 81-Jährige fast täglich kümmert. Mehr als 500 Jahre alt ist das Heimathaus der Gemeinde Schäftlarn, das heute dank jahrelangem ehrenamtlichem Engagement herausgeputzt in der Dorfmitte steht, die Tür offen für Besucher.

Neben Josef Arnold sind für diesen guten Zustand die anderen Mitglieder der Arbeitsgruppe (AG) und des Fördervereins zur Erhaltung des Neuchl-Anwesens verantwortlich. Jeden Dienstagvormittag trifft sich die etwa sechsköpfige AG - Rentner, die sich bei den anfallenden praktischen Arbeiten zu helfen wissen - im Oberdorf 6. Dann wird erledigt, was gerade anfällt: den Garten mähen, die Maschinen instand halten, die Ausstellungstücke putzen. "Es gibt immer was zu tun", sagt Gerd Zattler, der Vorsitzende des Fördervereins.

Schäftlarner Ortsgeschichte: Idyllisch liegt das Neuchl-Anwesen unterhalb der Parrkirche St. Georg in Hohenschäftlarn.

Idyllisch liegt das Neuchl-Anwesen unterhalb der Parrkirche St. Georg in Hohenschäftlarn.

(Foto: Hartmut Pöstges)

Arnold ist im benachbarten Hoanzn-Anwesen zuhause und bewohnt damit das älteste Holzhaus von Schäftlarn. Er ist hier bei den Nachbarn, den Neuchls, schon als kleiner Bub über die Türschwelle gelaufen, in der er jetzt steht. Und er war es auch, der Anfang der 1990er-Jahre den damaligen Bürgermeister Erich Rühmer darauf hingewiesen hatte, dass die Nichte der letzten Bewohnerin Therese Neuchl das Anwesen verkaufen wolle. Rühmer bemühte sich um das Haus und der Gemeinderat stimmte, zur Überraschung des damaligen Bürgermeisters, einstimmig für den Kauf. Heute lobt der Altbürgermeister den einstigen "Weitblick der Gemeinde", das denkmalgeschützte Haus, das sich "in sehr schlechtem Zustand" befunden habe, zu kaufen. Und das zu äußerst guten Konditionen, wie sich Rühmer erinnert - ein Glücksfall für die Gemeinde. "Heute wäre ein Haus in dieser Lage nicht mehr bezahlbar." Wichtig war der Nichte der letzten Bewohnerin die Gemeinnützigkeit der weiteren Verwendung: Das Haus ihrer Tante Therese Neuchl sollte zukünftig als Heimathaus und Museum genutzt werden.

Musste die Gemeinde auch wenig Geld für den Kauf aufbringen, in den Folgejahren steckte sie dennoch einiges ins Neuchl-Anwesen, "ungefähr 400 000 Mark", sagt Rühmer. Das Landesamt für Denkmalpflege beriet die Gemeinde bei der Renovierung des exponiert am Kirchberg liegenden Kleinbauernhauses, dessen Antlitz ein Steilsatteldach, ein verbretterter Giebel und ein hakenförmig angeschlossener Wirtschaftsteil prägen. Eine Gebäudeheizung wurde installiert, um der Feuchtigkeit Herr zu werden, der Dachstuhl erneuert und begast, um den Holzwurm loszuwerden, eine behindertengerechte Toilette für die künftigen Gäste eingebaut.

Schäftlarner Ortsgeschichte: Arnold pflegt auch die diversen Ausstellungsstücke im Heimathaus.

Arnold pflegt auch die diversen Ausstellungsstücke im Heimathaus.

(Foto: Hartmut Pöstges)

Annehmlichkeiten, auf die Therese Neuchl, die bis 1991 im Neuchl-Anwesen wohnte, bis zu ihrem Lebensende verzichtet hatte. Sie führte ein bescheidenes Dasein, lebte "mit einem einzigen Wasserhahn im ganzen Haus", erinnert sich Rühmer. Dieser Wasserhahn füllte einen Trog, der auf der einen Seite in den Wohntrakt, auf der anderen Seite in den Stall ragt; bescheiden aber praktisch, ein Hahn für Mensch und Tier gleichermaßen. Die Stube als einziges geheiztes Zimmer reichte Therese Neuchl genauso wie das Plumpsklo, das sie bis zum Ende ihres Lebens nutzte. "Sie war eine freundliche, sehr bescheidene Frau", erinnert sich Rühmer an sie. "Und sie hatte die Weitsicht, noch zu ihren Lebzeiten einen Erdgasanschluss einrichten zu lassen." Doch weder das Gas noch die Telefonleitung, die man ihr ins Haus gelegt hatte, nutzte sie jemals; Therese Neuchl war ein anderes Leben gewohnt.

Die ehemalige Dienstmagd kam als zweite Ehefrau des Neuchl-Bauern Georg nach Hohenschäftlarn, nachdem dessen erste Frau 1944 gestorben war. Arrangiert worden war die Hochzeit, wie es damals eben üblich war, im Zuge eines Ochsenkaufs in Degerndorf. Therese heiratete "Beim Stallwastl", so der Hofname des Anwesens, ein und sollte die letzte Bewohnerin eines Hauses mit wechselvoller Geschichte werden.

1492, im selben Jahr als Kolumbus Amerika entdeckte, wurde das Neuchl-Anwesen erstmals urkundlich erwähnt. Mehr als 300 Jahre später, 1828, fiel es beim großen Brand von Schäftlarn den Flammen zum Opfer. Zusammen mit dem halben Oberdorf brannte das Anwesen ab. "Alles Sach' war verbrannt", ist auf der Homepage des Heimathauses zu lesen: "Die Habseligkeiten, das Gwand, das bisserl Hausrat, alles weg. Und das alles nur, weil einer unvorsichtig seiner Freude Luft gemacht und anlässlich der Kirta im September 1828 statt in die Luft in einen Heustadl geschossen hatte." Nur das Mauerwerk überstand den Brand und auf den Trümmern des alten entstand ein Jahr später eine neues Haus. Das Glück der Bauersleute: Ihnen gehörten zehn Tagwerk Feld und sieben Tagwerk Wald. Hölzernes Baumaterial war also vorhanden, die benötigten Mauersteine nahm man aus der Isar.

Schäftlarner Ortsgeschichte: Die letzten Bauersleut' "Beim Stallwastl": Georg Neuchl und seine zweite Frau Therese.

Die letzten Bauersleut' "Beim Stallwastl": Georg Neuchl und seine zweite Frau Therese.

(Foto: Hartmut Pöstges)

Die nächste Generation "Beim Stallwastl" war die letzte und die, von der das Anwesen seinen Namen hat. Georg Neuchl aus Farchach bei Aufkirchen heiratete eine der Töchter der ehemaligen Bauersleute und verdingte sich fortan als Holzknecht im Kloster Schäftlarn. Das Leben des Paares war karg. "Die Baumstümpfe, die keiner haben wollte, grub er nach getaner Arbeit aus und heizte damit das kleine Häuschen. Im Stall stand ein Ochse, ein Jungrind und drei Kühe, daneben gab es ein paar Hühner. Mit seinem Lohn und den Felderträgen reichte es gerade zum Leben", wird die Lebenssituation der letzten Neuchl-Bauern beschrieben. 1957 starb Georg. Seine zweite Frau Therese, kinderlos, lebte fortan mit ihrer ledigen Schwägerin im Haus. Nachdem auch diese 1969 gestorben war, lebte Therese die letzten 22 Jahre ihres Lebens allein in dem Haus mit den kleinen Sprossenfenstern und den grünen Fensterläden am Kirchberg.

Heute werden die niedrigen Räume und schmalen Holztreppen nur mehr von Gästen und den Mitgliedern des Arbeitskreises betreten. Durch die Luke in den Keller fallen längst keine Kartoffel mehr, durch das Loch in der Stubendecke steigt keine Wärme mehr nach oben in die Schlafkammer und am Fenster neben der Eingangstür klopft kein Gast mehr, um um Einlass zu bitten.

Nur wenn die Arbeitsgruppe dienstags in Haus und Garten werkelt und in der Stube Brotzeit macht, zieht wieder Leben im Neuchl-Anwesen ein. Und, wenn die Besucher kommen, oft Seniorengruppen oder Schulklassen. Im Erdgeschoss können sie Stube, Küche, Speis und Waschküche besuchen. Im Obergeschoss befinden sich das Schlafzimmer und Räume, die mit Ausstellungsgegenständen zur Volksfrömmigkeit und zu Trachten ausgestattet sind sowie ein altes Schulzimmer. In der Tenne kann eine große Sammlung von alten landwirtschaftlichen Geräten begutachtet werden, darunter ein mehr als 150 Jahre alter Hakenzylinder, eine der ersten Dreschmaschinen. Im Stall wurden verschiedene Handwerksbereiche eingerichtet und im Garten stehen ein mehr als 100 Jahre alter Brunnen und ein ebenso altes Bienenhäuschen; vier Völker leben darin.

Schäftlarner Ortsgeschichte: Josef Arnold kümmert sich um die Geranien auf dem Balkon.

Josef Arnold kümmert sich um die Geranien auf dem Balkon.

(Foto: Hartmut Pöstges)

Die meisten der Einrichtungsgegenstände hat Josef Arnold aufgetrieben. "Ich war 25 Jahre lang Postler in Schäftlarn", erzählt er, als er durch das Haus führt. Viele Leute habe er deshalb gekannt und immer wieder Spenden für das Heimathaus erhalten: Geschirr, Wachsstöcke, Maßkrüge. Vieles hat er auch selbst gespendet. Oben in der Schlafkammer steht die Bettstatt seiner Urgroßmutter, im Bauernschrank hängt das Hochzeitsgewand seiner Mutter. Und auf manches wie den alten Hakenzylinder aus Tirol ist er zufällig gestoßen. Die Räume sind voll, fast schon zu voll: "Wir haben keinen Platz mehr", sagt Zattler. "Leute, die uns etwas bringen wollen, müssen wir oft wieder wegschicken."

Neben der Darstellung des Lebens und Arbeitens im vergangenen Jahrhundert hat sich der Förderverein auch den Erhalt des Brauchtums als Ziel gesteckt. So findet jeden Herbst ein großes Dreschfest statt. Dann werden Getreidegarben mit einer alten Dreschmaschine gedroschen, "Kinder springen durchs Stroh", erzählt Zattler, und in dem Denkmal herrscht einen Tag lang ein Leben fast wie früher.

Das Neuchl-Anwesen ist von Mai bis Oktober jeden ersten Samstag von 14 bis 16 Uhr geöffnet. Führungen bei Josef Arnold, Telefon 08178 / 4789

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