Sagen-Serie:Verborgene Schätze

In geheimen Kellerdepots lagern wertvolle Gegenstände, die das Museum Starnberger See noch nie öffentlich gezeigt hat - Heiligenfiguren, das Gästebuch eines Ammerlander Gasthauses oder eine Badehose aus Penzberg.

Von Christiane Bracht

Tief unten in einem Starnberger Keller, hinter alten Schulbänken und Kisten mit Papier, wer würde da noch wertvolle Kunstschätze vermuten? Gemälde und Skulpturen sind dort sicher untergebracht, aber auch andere wertvolle Gegenstände, die mit der Region zu tun haben. Denn das Museum Starnberger See hat seine Kostbarkeiten an verschiedenen geheimen Orten in der Stadt untergebracht. Die wichtigsten Stücke sind ausgestellt, aber die Sammlung ist viel größer als das, was die Besucher sehen können. Im alten Lochmannhaus ist eben nicht viel Platz für Gemälde, Skulpturen und andere Raritäten. Und der Neubau ist mit der höfischen Seenschifffahrt und dem Einbaum schon fast voll. Als Schatzsucher könnte man in Starnberg also noch einiges finden. Die Museumsleiterin Sybille Küttner und ihr Mitarbeiter, der Historiker Daniel Kofler, kommen sich manchmal auch so vor. Denn wer glaubt, im digitalen Zeitalter ist alles fein säuberlich katalogisiert und erfasst, der irrt. In der großen Sammlung des Museums gibt es viele Kunstobjekte, deren Herkunft erst geklärt werden müssen. Grund genug mal einen Blick hinter die Kulissen zu wagen.

Starnberg, Museum Starnberger See

Wohnzimmer-Schmuck aus der Barockzeit: das Betrachtungssärglein. Es soll an die Vergänglichkeit allen Lebens erinnern.

(Foto: Georgine Treybal)

"Starnberg ist ein besonderer Ort mit einer besonderen Geschichte. Da kann man manchmal staunen, was es alles gibt", sagt Küttner. Die selbst noch nicht alles kennt und immer wieder über alte Schätze stolpert, die sie begeistern. "Wir haben zum Beispiel Hundehalsbänder aus Metall oder eine Kinderkutsche. So etwas gibt es nur, wo es reiche Leute und Adel gibt", weiß sie. Und zeigt einige Kuriositäten, die im ersten Raum des Lochmannhauses ausgestellt sind. Wo andere vermutlich eher achselzuckend vorbeigehen, weil sie nichts mit den Gegenständen anzufangen wissen, ist sie hingerissen. So steht dort eine kleine Kanone, die schon halb kaputt ist. "Die ist aus dem 17. Jahrhundert", sagt sie. "Möglicherweise ist es eine Bordkanone vom Bucentaur, dem prunkvollen königlichen Barockschiff, auf dem der Hof seine Jagdfeste abhielt." Doch das muss Küttner mit ihren Mitarbeitern noch genau untersuchen. Seit sie vor vier Jahren nach Starnberg gekommen ist, hat sie angefangen, alle Kostbarkeiten genau zu inspizieren, zu dokumentieren und inventarisieren. Dabei hat sie zusammen mit dem Historiker Daniel Kofler, der sie ein paar Stunden pro Woche unterstützt, schon manch kuriose Entdeckung gemacht. Klar, haben auch frühere Generationen schon Buch über die Sammlung geführt, aber viele Aufzeichnungen sind verloren gegangen. Das Museum ist eben über lange Zeit von Ehrenamtlichen geführt worden und es gab viele Wechsel, Krieg und unruhige Zeiten. Und so ist viel Wissen verschwunden.

Starnberg, Museum Starnberger See

Nur für Sonderausstellungen werden die vielen Schätze aus den Starnberger Kellern hervorgeholt.

(Foto: Georgine Treybal)

Außerdem sind auch immer wieder neue Schätze dazugekommen. Im Nachlass oder bei Haushaltsauflösungen finden sich gelegentlich Dinge, die die Erben nicht einfach wegwerfen wollen. Natürlich nimmt das Museum nicht alles, nur das, was einen Bezug zu Starnberg und Umgebung hat, ist für Küttner interessant. Oder Gegenstände, die eine Geschichte erzählen. So gehört seit kurzem auch eine alte Badehose zum Inventar der Sammlung. Ein Penzberger hat sie dem Museum geschenkt, er ist mehr als 15 Jahre lang von Seeshaupt längs durch den See nach Starnberg geschwommen. Auch das Gästebuch des Gasthauses Leuze, das in den 1920er- bis in die 50er-Jahre in Ammerland stand, ist für die Historiker von Interesse, weil es zeigt, welch illustre Personen dort logierten. Das Museum kauft aber auch Gemälde, wie das von Christian Morgenstern, das das Lochmannhaus um 1850 von hinten zeigt. Ganz anders als heute ist die Starnberger Bucht da noch eine idyllische Landschaft. "Viel können wir nicht kaufen. Unser Budget ist mit etwa 5000 Euro sehr begrenzt", erklärt Küttner. Größere Anschaffungen sind nur möglich, wenn die Stifter die Neuerwerbungen mitfinanzieren. Und Leihgaben akzeptiert die Leiterin des Museum möglichst nur bei Sonderausstellungen. Dann ergänzen sie die Sammlung. Aber auf Dauer sind Leihgaben schwierig, denn das Museum trägt das Risiko für die Sicherheit der Objekte und ist für deren Restauration verantwortlich. Außerdem können sie plötzlich wieder zurückgefordert werden, wie etwa die Minerva vom Bayerischen Nationalmuseum.

Starnberg, Museum Starnberger See

Tief in geheimen Kellern: Museumsleiterin Sybille Küttner zeigt ihre Kostbarkeiten.

(Foto: Georgine Treybal)

"Unser Auftrag ist es, die Kulturschätze der Region zu sammeln und zu bewahren, aber auch zu forschen und zu vermitteln", erklärt Küttner. Und so plant sie die Dauerausstellung, die der Stadtarchivar in den 1980er-Jahren erarbeitet hat, neu zu konzipieren und moderner zu gestalten. Klar, vieles wird bleiben, wie die Heilige von Ignaz Günther, der Delphin als letztes Relikt der höfischen Seenschifffahrt, aber auch die Wohnräume im Lochmannhaus. Aber Küttner will auch Kunstwerke aus den geheimen Depots des Museums holen und den Besuchern präsentieren. "Das Konzept steht schon", sagt sie. Die Details freilich müssen noch ausgearbeitet werden. Und dazu wird hinter verschlossenen Türen geforscht. Kofler verbringt seine Tage im Keller, um die Schätze zu dokumentieren und deren Historie zu erforschen. Dabei ist er schon auf manch interessante Geschichte gestoßen.

Von der Frühgeschichte bis heute

Viele Schätze scheinen in Starnberger Kellern zu verstauben. Doch wann bekommt die Öffentlichkeit sie zu sehen? Für Sonderausstellungen werden sie hervorgeholt, erklärt Sybille Küttner. Einfach wahllos alles ins Museum zu stellen, würde zu einem chaotischen Sammelsurium führen, deshalb zeigt man immer nur ein paar Dinge. Schließlich braucht der Besucher einen roten Faden. "Man muss sich vorher genau überlegen, was man erzählen will und die Ausstellung entsprechend aufbereiten. Im Museum geht es nämlich um Kommunikation, einfach hinstellen, reicht nicht", sagt Küttner.

Das macht es auch so schwierig, die Dauerausstellung, die seit den 1980er Jahren zu sehen ist, neu zu konzipieren. "Die Auswahl ist top", lobt Küttner. "Es fällt schwer, sich von dem einen oder anderen Stück zu trennen." Für die Neugestaltung schwebt ihr vor, mehr Informationen über die Menschen, die im Lochmannhaus gelebt haben, zu geben und darüber, wie ihr Leben aussah. Wichtig ist dabei auch, die Geschichte von Bauern, Fischern und Adel am Starnberger See lebendig werden zu lassen. Daran forschen die Museumsmitarbeiter noch.

Klar, würde Küttner am liebsten auch das Lochmannhaus historisch untersuchen und eventuell sanieren lassen. Aber die Entscheidung muss die Stadt treffen. In der Vergangenheit ist es bereits mehrfach umgebaut worden. Die obere Stube war möglicherweise eine Amtsstube, die den Hofmarksherren gehörte. Dort wurden Geschäfte gemacht. "Welche, wissen wir nicht genau", sagt die Museumsleiterin. Den Hinweis darauf gibt ein unscheinbares Holzschild für eine "Handregistratur".

Außerdem träumt Küttner davon, den großen Einbaum von der Roseninsel in ihre Sammlung aufnehmen zu können. Die Archäologische Staatssammlung hat ihr diesen bereits angeboten. Er ist aufwendig konserviert worden. Und: "Er ist der Knüller unter den archäologischen Funden und hat europaweite Bedeutung", schwärmt sie. "Wir könnten dann Leben und Kultur am Starnberger See von der Frühgeschichte bis heute zeigen. Dann wären wir vollständig - eine runde Sache. Aber wir kriegen den Einbaum nirgends unter." Er ist immerhin 13,5 Meter lang. Dafür müsste Starnberg das Museum vergrößern - oder anbauen. cb

In dem gut gesicherten Keller, in den er die SZ ausnahmsweise hineinspähen lässt, gibt es mehrere Eisentüren. Küttner öffnet die erste: Rechts und links an den Wänden stehen selbst gezimmerte Regale, in denen die Gemäldesammlung verstaut ist. Vorsichtig mit Schaumstoffen und Seidenpapier ausgepolstert, damit Rahmen und Leinwände keinen Schaden nehmen können, stehen hier zahlreiche Werke der Münchner Maler, die um die Jahrhundertwende mit ihren Staffeleien auch nach Starnberg kamen, um die Stimmung am See in ihren Gemälden festzuhalten. Küttner zieht sich weiße Baumwollhandschuhe an, bevor sie vorsichtig eine Tischzeichnung hervorholt. "Sie ist von der Mutter von Franz von Pocci um 1810 entstanden", sagt die Museumsleiterin. "Das haben wir ganz zufällig entdeckt." Dabei ist das Bild schon lange im Bestand des Museums. Dann zieht sie noch ein anderes hervor. "Ein tolles Bild", schwärmt sie. "Aber wir wissen leider nichts darüber. Es könnte eine biblische Geschichte sein." Kofler hat eben noch einiges zu tun - nur sein Vertrag mit der Stadt ist befristet. Sehr zum Bedauern von Küttner. "Es wäre gut, wenn er bleiben könnte." Denn nur dann kann weiter an geforscht werden. Küttner selbst ist mit Sonderausstellungen und anderen Dingen viel zu eingespannt, um das auch noch selbst in die Hand zu nehmen. "Und nur wenn wir wissen, was wir alles haben, können wir die bestmögliche Wahl für die neue Dauerausstellung treffen", gibt die Museumsleiterin zu bedenken.

Sie öffnet die nächste schwere Eisentür, das Neonlicht flackert. In den Regalen liegen Skulpturen in Reih und Glied fein säuberlich nebeneinander. An der Wand steht eine imposante Heiligenfigur mit Jesuskind auf dem Arm. Ein Heiliger Josef oder vielleicht auch Gott Vater selbst, sagt Kofler. "Möglicherweise aus der Josefskirche." Forschung dauert eben. Und was ist das? Ein winzig kleiner Sarg auf dem Deckel Jesus am Kreuz mit einem Totenkopf darunter. Er steht neben der Heiligenfigur. Küttners Augen strahlen. "Wir dachten erst, es ist ein Kindersarg", erklärt sie. "Obwohl er selbst dafür etwas klein ist." Doch dann haben Küttner und Kofler recherchiert und sind zu einem interessanten Ergebnis gekommen: "Es ist ein Betrachtungssärglein. In der Barockzeit war es Mode, ein solches im Wohnzimmer stehen zu haben, um dort zu meditieren, sich den Tod zu vergegenwärtigen", sagt sie. Das Särglein ist vermutlich aus dem frühen 19. Jahrhundert. "Es war ein Überraschungsmoment, dies herauszubekommen", freut sich Küttner.

Noch größer war allerdings die Überraschung als sie feststellte, dass eine Karte von Apian im Besitz des Museums sein sollte. Apian hatte im 16. Jahrhundert den Auftrag von Herzog Karl V. , Bayern zu vermessen und eine große Karte anzulegen, die in verschiedenen Auflagen gedruckt wurde. Einer dieser Originaldrucke gehört zur Sammlung des Starnberger Museums. Eine ehrenamtliche Mitarbeiterin war auf den Hinweis in den Unterlagen gestoßen. Jemand hatte die Karte in den 1980er Jahren offenbar zum Restaurator gebracht. Aber irgendwie hatte man vergessen, sie wieder abzuholen. Küttner und Kollegen machten sich also auf die Suche und siehe da: Die Karte war noch immer beim Restaurator - im Originalzustand. Sie hat große Wasserschäden und das Papier ist durch den Kleber, der die Karte auf dem Passepartout hält, stark angegriffen. "Sie zu sanieren wäre sehr teuer und die Kosten würden nicht im Verhältnis zum Nutzen liegen", sagt Küttner.

Jetzt liegt sie gut eingepackt auf dem Boden des Kellers und wartet auf eine neue Technik, die eine Sanierung wirtschaftlich macht.

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