Runder Geburtstag:Seit 70 Jahren für andere da

Der Sozialverband VdK in Geretsried feiert Jubiläum. Franz Stanka war eines der ersten Mitglieder der Organisation, die ursprünglich als Interessensvertretung der Kriegsbeschädigten begann

Von Thekla Krausseneck, Geretsried

Zwei Kugeln trafen Franz Stanka im Zweiten Weltkrieg, beide an den Fersen: einmal in den italienischen Alpen, das zweite Mal bei Aachen. Man sieht sie heute noch, die Dellen über dem Fersenbein, wenn man einen Blick unter die handgestrickten Strümpfe seiner Frau wirft, die Stanka trägt. Damals, als Deutschland in Trümmern lag, war der heute 92-Jährige ein junger Mann - und einer der ersten, die dem VdK beitraten. Der damalige Verband der Kriegsbeschädigten hat sich in den vergangen 70 Jahren weiterentwickelt und neuen Aufgaben zugewandt, an oberster Stelle dem Kampf für Gerechtigkeit und Gleichstellung. Heute heißt er Sozialverband VdK Deutschland und ist mit 1,8 Millionen Mitgliedern der größte seiner Art. Davon wohnen 10 251 im Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen; 1212 gehören dem Ortsverband Geretsried an. 114 neue Mitglieder sind voriges Jahr hinzugekommen, die meisten sind älter als 50 Jahre.

Nach einer Recherche der Ortsvorsitzenden Gisela Lucht lebten in Geretsried zeitweise zwölf VdK-Mitglieder, die kurz nach der Gründung eingetreten waren - übrig ist noch Stanka. Beigetreten ist er zwei Jahre nach Kriegsende, als er in Pegnitz lebte und arbeitete. Mit der Büchse ging er von Haus zu Haus und sammelte Geld für den Verband. Sehr erfolgreich, erzählt Stanka: Als Sänger im Kirchenchor und Mitglied des Turnvereins sei er bekannt gewesen "wie ein bunter Hund". Ursprünglich stammte Stankas Familie aus dem Egerland, aus dem sie 1943 nach Thüringen vertrieben wurde. Nach Geretsried kam Stanka 1984, als er mit Beginn seiner Rente auf Kur ging. Im Oberland lernte er seine heutige Ehefrau kennen. Der Abschied vom VdK in Pegnitz fiel ihm schwer: Man war zusammengewachsen, kannte sich seit Jahren und ließ Stanka nur höchst widerwillig gehen.

Runder Geburtstag: Gisela Lucht ist Vorsitzende des VdK Geretsried.

Gisela Lucht ist Vorsitzende des VdK Geretsried.

(Foto: Harry Wolfsbauer)

Genau so versteht sich der VdK auch in Geretsried: als eine lebendige Gemeinschaft, die zusammenhält und füreinander einsteht. Rund 50 Ehrenamtliche besuchen Mitglieder bei runden Geburtstagen, gehen in Alten- und Pflegeheime, um Bewohnern Gesellschaft zu leisten, organisieren Ausflüge und Stammtische. Außerdem tragen sie die Ortsverbandszeitung aus, gehen im Herbst für den VdK sammeln und beraten pflegende Angehörige, damit diese ihre schwere Aufgabe meistern können.

Die Rechtsberatung des VdK hilft Schwerbehinderten, denen nur 40 Prozent zugestanden wurden, 50 oder 60 Prozent zu bekommen. Einer 80-jährigen Mutter und deren 23-jährigem Sohn, der durch eine fortschreitende Muskelkrankheit jetzt im Rollstuhl sitzen muss, half der VdK unter anderem beim Umbau der Wohnung. Als alles vorbei war, habe die Frau gesagt: "Uns geht es jetzt so gut", erinnert sich Lucht. Ein Erlebnis, das ihr naheging: "Da schluckt man erst mal, wenn eine 80-jährige Mutter mit einem schwerbehinderten Sohn sagt, es gehe ihr gut." Lucht selbst sieht sich vor allem als Betreuerin, die dann einspringt, "wenn alle Ämter nicht mehr zuständig sind".

Runder Geburtstag: Franz Stanka ist das Mitglied, das am längsten dabei ist. Für beide ist der Verband eine wichtige soziale Institution.

Franz Stanka ist das Mitglied, das am längsten dabei ist. Für beide ist der Verband eine wichtige soziale Institution.

(Foto: Harry Wolfsbauer)

"Geretsried ist eine lebendige Stadt", sagte FW-Stadträtin Vera Kraus jüngst in der Mitgliederversammlung, "und mindestens genauso lebendig ist auch der VdK Geretsried." Sie lobte den Ortsverband besonders für sein Engagement für Menschen mit Handicaps. "Unser aller Ziel muss sein, die Teilhabe aller Bürger am Leben der Stadt zu sichern." Der VdK Deutschland vertritt seine Mitglieder gegenüber Justiz und Politik, setzt sich für eine starke Rente, die Mütterrente, die Gesundheitsfürsorge, die Abschaffung der Altersarmut und Hartz-IV-Familien mit ihren Kindern ein, und schickt Briefe an Abgeordnete, um der zunehmenden Spaltung der Gesellschaft entgegenzuwirken.

Kreisgeschäftsführer Maik Kinski sagt, man könne stolz sein auf die Leistungen des VdK im Großen und auf die des Ortsverbands im Kleinen. Neu im Amt ist die Kreisvorsitzende des VdK Bad Tölz/Miesbach, Marianne Estner. Bei ihrem ersten offiziellen Auftritt stellte sie heraus, was den VdK ausmache: "Das Füreinanderdasein und das Wissen um den anderen."

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