Rinderzucht:Die Sackschaukler von Greifenberg

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Die Besamungsstation am Ammersee ist nichts für schwache Nerven: Sie beliefert 6000 Bauern mit Rindersperma - die Stiere springen im Akkord.

Frederik Obermaier

Die Vaginen liegen vorgewärmt im Schrank, immer acht in einer Reihe, vier Reihen insgesamt. Das Zimmer - weiße Kacheln an den Wänden, Neonlicht an der Decke - ist schon für das kurze Stelldichein geheizt. Die Schwüle lässt die Brillengläser beschlagen. Egal, Hauptsache er fühlt sich wohl. Seit einer Viertelstunde schon hallt sein Stöhnen durch die Gänge.

Viermal pro Woche liefern die Stiere der Besamungsstation Greifenberg "Spitzengenetik". Abnehmer sind auch die Bauern im Fünfseenland und im Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen. (Foto: Frederik Obermaier)

Und jetzt steht er hier und kann nicht. Dabei hat er es schon Dutzende Male gemacht - auch vor Zuschauern. Vielleicht ist also mal wieder der FC Bayern schuld, dass es bei dem 1200-Kilo-Stier von der Besamungsstation Greifenberg (BSG) mit dem Sex nicht so recht klappt. "Das ist wie bei den Menschen", sagt Anton Ettner. "Manche wollen gleich hoch, manche muss man erst stimulieren."

Sanddorn brauche halt erst "a paar Datscherl", wie der Stierpfleger sagt. Also klatscht er dem Bullen auf den Hintern, kneift ihm in den Schenkel und sagt: "Joooooaaaaa." Manchmal dauere es, sagt der Stierpfleger mit den Kärntner Vorfahren, "da musst halt länger dran arbeiten". Der 51-Jährige schaut kurz auf, ob man ihn verstanden hat, was er sagen will: "Die musst also länger heiß machen."

Ettner war einmal der jüngste Besamungstechniker Bayerns, jetzt ist er der dienstälteste Stierpfleger der Besamungsstation Greifenberg. Die Station, nicht weit vom Ammersee, das sind fünf Ställe, ein Labor, die sogenannte Sprunghalle und ein Samenlager. Sie versorgt rund 6000 Bauern mit Rindersperma auch die Höfe aus dem Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen.

"Produktion von Spitzengenetik am laufenden Band", nennen Ettners Chefs das in einem Werbevideo. "Sackschaukler sind wir halt", sagt der Stierpfleger. Jeden Morgen, kurz nach fünf Uhr, öffnet er die schwere Stalltür, und Inferno erwartet ihn schon. Der junge Stier brüllt, scharrt mit den Hufen und rammt seinen Körper gegen das Gitter. Ettner ignoriert ihn. "Das ist einfach ein Plärrer", also ein junger Bulle mit großem Ego, "der kriegt einfach's Maul nicht zu."

Ettner stapft durch den Stall, der genauso gut eine Industriehalle sein könnte: Betonboden, Neonröhren, Rolltore. In drei langen Reihen stehen etwa 70 Bullen im Mist. Sie heißen Playboy, Renegade oder eben Sanddorn und sind der "Inbegriff von Männlichkeit und Stärke" - so wirbt die Besamungsstation für sie. Von Ettner kriegen die Bullen erst mal ein paar Schaufeln Stroh, Gras und Kraftfutter.

Dann klickt er eine Eisenstange in den Nasenring des ersten Stieres. "Bissl Fressen und zack, geht's los" - zur Samenspende in den Sprungraum. Schon seit 29 Jahren führt Ettner die Stiere zum morgendlichen Absamen. Er kennt seine Bullen. Da gibt es die handzahmen wie damals Monte, "der ist wie ein Hund hinter einem hergelaufen", aber eben auch die jungen Wilden, die etwa zwei Jahre alt sind. "Da bildet sich der Charakter - da wird das Viech blöd oder auch nicht."

Und einen blöden Stier zu bändigen, ist nicht leicht, erzählt Ettner. Ein kleiner Rempler von einem 1000-Kilo-Bullen reicht schon: "Da musst nicht gleich kaputt sein, aber eine Woche spürst das doch." Sanddorn ist anders. "Der will einfach sein Ding durchziehen", sagt Ettner: "Rein, scharf machen, fertig", so einfach ist das. Normalerweise. Heute steht Sanddorn in der Sprunghalle und gafft einfach nur auf den Hintern von Engor: einem Bullen, der zwischen zwei Eisengeländern festgebunden ist.

Bernhard Wollgarten untersucht die Spermien der Bullen auf Krankheiten. (Foto: Frederik Obermaier)

Normalerweise reicht sein Anblick für eine Erektion. Nicht etwa, weil Sanddorn ein schwuler Bulle ist, "naaaaa", Ettner schüttelt den Kopf, "der will decken, seinen Samen loswerden, Erleichterung halt." Bernhard Wollgarten sagt das Gleiche, nur mit anderen Worten: Das Aufspringen und die Ejakulation sei auf den natürlichen Torbogenreflex zurückzuführen, erklärt der Greifenberger Stationstierarzt: "Alles, was aussieht wie ein Torbogen oder eine Kuh von hinten, bespringen die Bullen."

Wollgarten - grüner Kittel, gelbe Gummistiefel - doziert von Reizen, Reflexketten und den Tricks der Besamungstechniker: Oft reiche schon ein Bock, wie man ihn aus dem Schulsportunterricht kennt. Der Stier springt drauf, steckt seinen Penis in eine künstliche Scheide, fertig. "Manche Tiere wollen das aber nicht", sagt Wollgarten. Der Stier steht dann vor der Kuhattrappe und macht - nichts. "Da weiß man spätestens nach einer Viertelstunde, das ist nicht sein Ding."

Er braucht dann einen Unterstellbullen wie Engor. Selbst der bringt Sanddorn heute nicht auf Touren: Sanddorn schleckt Engor zwar über den Hintern, aber das war's. Vielleicht liegt es am FC Bayern - oder an Wollgarten. Denn auch die beiden anderen Stiere in der Sprunghalle schnauben schon. "Die Tiere sind nicht gut auf mich zu sprechen. Wenn ich komme, dann gibt es eine Blutprobe oder sonst eine Behandlung", sagt Wollgarten und geht ein paar Schritte zurück, hinter einen mannshohen Zaun aus armdicken Eisenstangen - "zur Sicherheit".

Sein Job ist die Gesundheit der Stiere. Der 57-Jährige achtet darauf, dass von draußen keine Krankheiten eingeschleppt werden. Desinfektion der Laufwege, Unterdruckställe in der Quarantäne und regelmäßige Penisspülungen, das sind seine Themen. "Die Besamungsstation ist auch ein Instrument der Seuchenbekämpfung", erklärt er: Wie die Kühe früher noch auf natürlichem Wege, "per Natursprung also", besamt wurden. Und wie jede Gemeinde verpflichtet war, einen eigenen Dorfbullen zu halten.

"Den ließ man zur Besamung auf die Kühe des Dorfes springen." War aber nur eine einzige Kuh krank, waren es bald alle. "Der Gemeindebulle hat dann die ganze örtliche Population angesteckt." Vor allem die Trichomonadenseuche, eine Geschlechtskrankheit, die es ähnlich auch beim Menschen gibt, habe in den vierziger Jahren ganze Bestände dahingerafft. Fortpflanzung ohne Sex, also künstliche Besamung, sollte das große Sterben stoppen.

Wenn der Stier gar nicht mit der Kuh in Berührung kommt, so die Überlegung, kann er mit seinem Penis auch keine Krankheiten verbreiten. Die Technik schauten sich die deutschen Veterinäre von den Sowjets ab. In Greifenberg wird seit 1948 nach deren Vorbild gearbeitet, "und es funktioniert", wie Wollgarten sagt. Was mit drei Stieren anfing, ist heute Samenspende im Akkord: Viermal pro Woche, zweimal hintereinander. Vor allem aber ist es ein gutes Geschäft.

0,23 Milliliter von Sanddorns Samen kosten 10,50 Euro. Springt er nicht, schrumpft der Tagesgewinn. Denn der fünfjährige Bulle ist ein "hochpositiver Topvererber", wie es in der Sprache der Rinderzüchter heißt. "Eiweiß und Fett, da ist Sanddorn ganz stark", sagt Hermann Zuchtriegel. Der Agraringenieur leitet seit 13 Jahren die Besamungsstation in Greifenberg. Wenn er von seinen Bullen redet, spricht er im Superlativ: "Hervorragend" seien die Zuchtwerte von Sanddorn.

Nicht so gut wie Huray, "der weltbeste Braunvieh-Stier derzeit", aber trotzdem stolze 123 Punkte beim Gesamtzuchtwert. Huray hat nur fünf mehr. Bei der Fitness seien Sanddorns Töchter leicht unterdurchschnittlich, dafür bei der Milch - "der Wahnsinn". Allein schon die Voreuterlänge - Zuchtriegel schlägt Seite 32 im aktuellen Bullenkatalog auf: "Ein Zuchtwert von 122, also überdurchschnittlich." Dann noch ein starkes Zentralband und gerade Zitzen: "Einfach ein Spitzenvererber."

Zuchtriegel spricht gerne über seine besten Bullen. Wenn er von Blutlinien, Erbmaterial und dem hohen Selektionsdruck spricht, überschlägt sich seine Stimme. "Der beste Stier für die beste Kuh", sagt er. Es ist das Motto seiner Arbeit. Er kreuzt die Stiere mit dem höchsten Zuchtwert mit Kühen, die besonders viel Milch liefern. "Wir haben einen jährlichen Zuchtfortschritt von 80 Kilogramm Milch", darauf ist er stolz.

Die Nachkommen der Greifenberger Stiere bringen immer mehr Milch, also brauchen sie auch immer mehr zum Fressen. Die Kühe haben eine "so hohe Genetik", dass manche Bauern bereits Probleme haben, "das Futter in die Tiere hineinzubekommen", sagt Zuchtriegel. Der 60-Jährige sitzt in seinem Büro vor einer vergilbten Tapete, die älter ausschaut als er, und redet von der Zukunft der Rinderzucht:

"Genomische Selektion, das ist jetzt ganz neu." Statt Kühe mit dem Samen der jungen Stiere zu befruchten und zu warten, wie ihre Kinder und Kindeskinder gebaut sind und wie viel Milch sie liefern, reiche schon eine Blutprobe. Bei den Holstein-Bullen testet Zuchtriegel das bereits. Mit Erfolg: "Der Stier ist acht Wochen alt, und da wissen wir schon, was er vererbt."

Bisher musste er rund vier Jahre warten, bis er wusste, ob ein Stier gut vererbt, sich also "profiliert", wie Zuchtriegel sagt. "Das ist nur einer von zehn." Die übrigen Bullen, sind "negative Stiere". Sie werden geschlachtet. In der Rinderzucht zählt nur die Leistung. Nur wer liefert, überlebt. Und Fleckvieh-Bulle Sanddorn liefert, am Ende wenigstens.

Von hinten springt er auf Engor, sein Penis wächst in Sekundenschnelle auf Ellenlänge. Er balanciert mit seinen Hinterhufen auf einer Lochgummimatte, schnaubt und stößt. Erst ein Mal, dann packt einer von Ettners Kollegen Sanddorns Penis und steckt ihn in eine vorgewärmte Gummivagina. Noch ein Stoß, ein Schnauben, schon ist es vorbei. Auch nach hundert Sprüngen hat Sanddorn den Trick noch nicht durchschaut.

Fünf Milliliter Sperma sind im Reagenzglas. "Für Sanddorn ist das tragbar", sagt Zuchtriegel. Der Samen wird nun untersucht, verdünnt, in kleine Plastikröhrchen abgefüllt und dann langsam auf minus 196 Grad gekühlt. Am Ende sind es 304 Samenportionen, jede 0,23 Milliliter, jeweils 20 Millionen Sanddorn-Spermien, genug also für 304 mögliche Nachkommen von Sanddorn.

Vielleicht liegt es am Wetter, vermutet Zuchtriegel - oder eben am FC Bayern. "Wenn die verlieren und die Pfleger sind Bayern-Fans, dann merkt man das sofort an der Samen-Menge."

© SZ vom 17.11.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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