Rezension:Freundschaft zwischen Konkurrenten

Rezension: Beim Konzertabend in der Loisachhalle traf der Jugendkammerchor Wolfratshausen (im Bild) auf den Jugendkonzertchor der Chorakademie Dortmund.

Beim Konzertabend in der Loisachhalle traf der Jugendkammerchor Wolfratshausen (im Bild) auf den Jugendkonzertchor der Chorakademie Dortmund.

(Foto: Hartmut Pöstges)

Überwältigendes Konzert zweier Jugendchöre aus Wolfratshausen und Dortmund in der Loisachhalle

Von Reinhard Szyszka, Wolfratshausen

Die Konkurrenz ist hart bei Chorwettbewerben. Kein Wunder, dass die teilnehmenden Chöre ihre Mitbewerber zunächst mal als Gegner wahrnehmen, als die Anderen, die ebenfalls den begehrten ersten Preis anstreben. Für Chorfreundschaften sind solche Rahmenbedingungen denkbar ungünstig.

Und doch gibt es Ausnahmen. 2015 nahm der Jugendkammerchor Wolfratshausen am Kinder- und Jugendchorwettbewerb im westfälischen Erwitte teil und errang dort einen beachtlichen zweiten Platz. Nur dem Jugendkonzertchor der Chorakademie Dortmund musste man sich geschlagen geben. Dennoch entstand zwischen beiden Chören eine Freundschaft. Am Montag schauten die Dortmunder im Rahmen ihrer Tournee in Wolfratshausen vorbei, und abends gaben beide Chöre ein Konzert in der Loisachhalle.

Die Gastgeber machten den Anfang. Unter der Leitung von Christian Preißler präsentierten die 28 jungen Sängerinnen und Sänger des Jugendkammerchors ein Programm aus Frühbarock, Renaissance, zeitgenössischer Chormusik und Spirituals. In all diesen Bereichen war der Chor gleichermaßen zu Hause. Preißler hatte sorgfältig gearbeitet und jede einzelne Stimme gründlich geschult. Ein homogener, heller und strahlender Chorklang und eine sichere Intonation waren die Basis, auf der die Interpretation der Werke aufbaute. Die eindrucksvollen Crescendi und Decrescendi bei "Deo gratias", das immer wieder herausgeschleuderte Wort "Daemon" beim gleichnamigen Werk von György Orban - es fällt schwer, einzelne Höhepunkte herauszugreifen. Mit einem wohlklingenden "Deep River" verabschiedeten sich die Wolfratshauser und überließen den Gästen das Feld.

Beim Auftritt des Jugendkonzertchors der Chorakademie Dortmund fiel zunächst einmal die schiere Größe des Ensembles ins Auge. Nicht weniger als 50 Sängerinnen und Sänger nahmen da auf der Bühne Aufstellung. Auch die Altersspanne war größer. Einige der Mädchen wirkten noch fast kindlich, während die Ältesten schon einen recht erwachsenen Eindruck machten. Und doch: Vom ersten Akkord an herrschte Homogenität und Ausgewogenheit zwischen den Stimmen. Eine echte Konkurrenz zwischen den Chören gab es kaum, weil die Dortmunder sich auf die Romantik konzentrierten, ein Gebiet, das die Wolfratshauser zuvor ausgespart hatten. Und welche Klangfülle konnte Felix Heitmann, der Leiter des Dortmunder Chors, seinen Sängern da entlocken! An den lautesten Stellen wackelten fast die Wände der Halle, und dann gab es wieder bezaubernde, schwebende Pianissimi. Doch auch bei den dynamischen Extremen blieb alles kultiviert und beherrscht. Die Intonation war durch die Bank makellos.

Nach der Pause setzten die Dortmunder ihr umfangreiches Programm fort. Heitmann hatte das Repertoire mit äußerster interpretatorischer Finesse einstudiert, so dass keine Langeweile aufkam. Jedes Stück wurde dem Text entsprechend umgesetzt. Bei Mendelssohns "Ehre sei Gott" stellte der Chor ein Solistenquartett aus den eigenen Reihen, bei "Aftonen" von Hugo Alfvén bewunderte man die farbigen Harmonien, und Mauersbergers "Wie liegt die Stadt so wüst" beeindruckte mit spannungsgeladenen Steigerungen. Die Dortmunder reihten einen Glanzpunkt an den anderen und zeigten dabei keinerlei stimmliche Ermüdungserscheinungen. A-cappella-Singen ist anstrengend, sehr anstrengend, doch bei diesen jungen Sängern hatte man den Eindruck, sie würden von Stück zu Stück immer besser.

Bei den Zugaben wechselten sich beide Chöre ab, und der einzige Wermutstropfen des Abends war, dass es kein einziges Werk gab, das die Chöre gemeinsam sangen. Hier hätte das Knabenchorfestival in Bad Tölz als Vorbild dienen können, wo die Chöre immer auch zusammen singen.

Die jungen Sängerinnen und Sängern beider Chöre hielten natürlich ihre Notenmappen in der Hand. Dennoch widmeten sie ihr Hauptaugenmerk dem Dirigenten und warfen nur gelegentlich einen kurzen Blick in die Noten. Bei den meisten Erwachsenenchören, die man so landauf, landab erlebt, ist es - leider! - gerade umgekehrt.

Und noch etwas gab zu denken. Bei beiden Jugendchören waren die Herren leicht in der Überzahl. Wie kommt es, dass sämtliche Erwachsenenchöre über einen teilweise eklatanten Mangel an Männerstimmen klagen? Wohin gehen diese Tenöre und Bässe, wenn sie älter werden? Geben sie das Singen auf, während die Frauen dabei bleiben? Hoffentlich nicht; der Verlust für die Chorlandschaft wäre zu groß.

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