Reisende Besucher:Ein Sofa für die ganze Welt

Couchsurfer bieten fremden Gästen kostenlos Logis. Im Landkreis sollen schon mehr als 500 sogenannte Hosts angemeldet sein. Conny Danner aus Gaißach findet es schön, auf diese Weise andere Kulturen kennenzulernen

Von Lea Utz, Bad Tölz-Wolfratshausen

Wer über Thomas Stockhammers Türschwelle tritt, steht unübersehbar im Zimmer eines Reisenden. An den Wänden wimmelt es nur so von Fotos, Postkarten und Mitbringseln aus der Ferne. Über einer ausladenden, roten Couch hängt eine Weltkarte. In jedem Land, in dem der Wolfratshauser schon gewesen ist, steckt ein kleines schwarzes Fähnchen. Was die Karte nicht verrät: Regelmäßig ist die Welt auch bei ihm zu Gast, auf genau diesem Sofa.

Thomas Stockhammer ist Couchsurfer. Über die Internetseite couchsurfing.com bietet er Reisenden kostenlos einen Schlafplatz in seiner Berufstätigen-WG an. Wenn über die Plattform eine Anfrage bei ihm eingeht, schreibt der 31-Jährige eine kurze Antwort - und in der Regel schläft dann wenig später ein Fremder auf seinem Sofa. "Das ist schon ein brutaler Vertrauensvorschuss", sagt Stockhammer. Doch das sei gerade das Schöne an diesem Konzept: "Das ist so unmittelbar, da begegnet man sich gleich ganz anders."

In der Region ist er mit dieser Ansicht offenbar nicht allein: Mehr als 500 Nutzer aus dem Landkreis sind laut Angaben der Seite als Gastgeber, sogenannte "Hosts", dort angemeldet. Und das, obwohl sich über andere Plattformen wie "Airbnb" mit privaten Unterkünften inzwischen gutes Geld verdienen lässt.

Der harte Kern, der regelmäßig auf der Seite aktiv ist, ist im Landkreis allerdings vergleichsweise klein. "Hier ist das Couchsurfen nicht so weit verbreitet", sagt Conny Danner, Gastgeberin aus Gaißach. Die meisten ziehe es direkt nach München. Oft sind es Wanderer, die auf dem Traumpfad von München nach Venedig über die Alpen bei Danner und ihrem Freund Paul Qualben im Gästezimmer einkehren.

Das 3000-Einwohner-Dorf Gaißach wird dann plötzlich zu einem Ort des internationalen Austauschs: "Man trifft Leute aus aller Welt und lernt andere Kulturen kennen", schwärmt sie. Einmal bekochte ein polnisches Pärchen sie in ihrer Küche mit dem Nationalgericht "Pierogi". Ein andermal nahmen sie einen jungen Litauer auf, der für Bewerbungsgespräche in der Gegend war - und beim Bergsteigen mit Gastgeber Qualben den Anruf mit der lang ersehnten Zusage für den Job erhielt.

Das Paar hat auch schon überlegt, das Gästezimmer über die Plattform "Airbnb" gegen Geld zu vermieten. "Aber das ist mir dann doch irgendwie zu kommerziell", sagt Danner. Die Erwartungen an die Unterkunft seien dann höher, mehr wie in einem Hotel. "Mir ist es wichtiger, einfach Leute kennenzulernen."

Nick Boettger aus Lenggries verbindet beides: Um die Miete für seine 120-Quadratmeter-Wohnung aufzubringen, beherbergt er regelmäßig zahlende Gäste. Der 35-Jährige nimmt aber auch Couchsurfer auf. Oft begleiten ihn seine Besucher bei den Kanu- und Raftingtouren, die er an den Wochenenden organisiert.

10 Millionen

Couchsurfer gibt es nach Angaben des Unternehmens weltweit. Sie kommen aus mehr als 200 000 Städten - auch aus Bad Tölz und Wolfratshausen. Im Landkreis sind mehr als 500 Nutzer auf der Plattform angemeldet. Thomas Stockhammer aus Wolfratshausen, Conny Danner und Paul Qualden aus Gaißach sowie Nick Boettger aus Lenggries kennen beide Seiten: Sie haben auf Reisen immer wieder bei anderen Couchsurfern übernachtet, bieten aber auch die eigene Couch oder das Gästezimmer mehrmals im Jahr kostenlos als Schlafplatz an.

Vier Zirkusartisten aus Frankreich, die auf dem Weg nach Tibet bei ihm Halt machten, waren davon so begeistert, dass sie ihre Reise im Schlauchboot fortsetzten. Sie wohnten kostenlos bei Boettger, bis sie mit Straßenauftritten genug Geld für ein Raft verdient hatten. "Es ist schön, wenn man die Sachen, die einem selber Spaß machen, an andere Reisende weitergeben kann", sagt Boettger.

Er meldete sich in einer Zeit auf der Plattform an, in der er beruflich ständig unterwegs war - von Präsentation zu Präsentation, von Hotel zu Hotel. "Das war so steril", sagt er heute. Er begann, auf der Plattform nach Gastgebern zu suchen. Als Couchsurfer fühlte er sich sofort wohler. "Die Begegnungen sind immer sehr menschlich, sehr warm." Für viele Nutzersei Couchsurfen ein Lebensgefühl.

Ganz so idealistisch ist die Plattform selbst allerdings nicht mehr: 2011 wurde aus dem gemeinnützigen Verein ein kommerzielles Unternehmen. Gastgebern wird nun nahegelegt, sich für 18 Euro im Jahr zu "verifizieren". Auch für ihren laxen Umgang mit Nutzerdaten geriet die Seite immer wieder in die Kritik. "Das ist natürlich schade", sagt Conny Danner. Aber wenn man danach gehe, könne man sich wohl nirgendwo mehr anmelden.

Negative Erfahrungen haben die vier bisher kaum gemacht. Über die Seite könne man sich vorab ein gutes Bild vom anderen machen, erklärt der Wolfratshauser Thomas Stockhammer. "Da merkt man meistens schon, ob das passt." Ihm ist wichtig, dass seine Besucher echtes Interesse am Austausch haben. "Wenn jemand selbst nie hostet und dann nur einen Schlafplatz sucht, weil gerade Oktoberfest ist, sage ich auch mal ab."

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