Reichersbeuern:Das Leben der Anderen

Die Eltern zweier Autisten kämpfen darum, dass ihre Kinder ins private Max-Rill-Gymnasium gehen können, weil die Bedingungen dort für sie angemessener sind

Von Thekla Krausseneck, Reichersbeuern

Kleine Klassen, persönlicher Unterricht und vor den Fenstern die zwitschernde Natur: Das Max-Rill-Gymnasium bietet ein ideales Lernklima für Autisten, die in den großen, anonymen Klassen der staatlichen Schulen oft psychisch überfordert sind. Ein Lernklima, das eine Menge Geld kostet: Eltern zahlen für Schule und Internat 2200 Euro monatlich. Eine Summe, die Elisabeth Reinwald nicht aufbringen kann. Trotzdem soll ihr 14-jähriger Sohn Hansi die Max-Rill-Schule besuchen. Es ist ihr letzter Ausweg: Durch seinen Autismus habe Hansi in der Vergangenheit schlimme Erfahrungen mit Mobbing machen müssen, sagt Reinwald. Was er brauche, seien eben kleine Klassen und ein ruhiges Klima.

Einfach wird es jedoch nicht. Während Hansi auf Reha ist, um sich von den Folgeerscheinungen des Mobbings zu erholen, kämpft seine Mutter mit den Behörden. Bis vor kurzem übernahm das Jugendamt das Schulgeld, seit Anfang März ist der Freistaat direkt zuständig. Der argumentiert, für jedes Kind sei eine Schule geschaffen worden, Hansi solle das öffentliche Angebot nutzen. Nur: "Der Freistaat hat keinen Platz für einen Schüler wie Hansi", sagt Reinwald.

Ihr Sohn habe als Sonderling gegolten, erzählt Reinwald, die Mitschüler hätten ihn komisch gefunden, "sie berührten ihn absichtlich, obwohl sie wussten, dass er das nicht mag". Seit Januar 2016 sei Hansi wegen des Mobbings nicht mehr in die Schule gegangen: "Er sagte, wenn er da noch mal hin muss, dann wirft er sich vor die S-Bahn." Der Junge sollte die Schule wechseln. Am Max-Rill-Gymnasium verbrachte er eine Probewoche; zuvor klärten Lehrer seine Mitschüler über Hansis Asperger-Autismus und seine Vergangenheit auf. Kommt ein autistisches Kind neu an die Schule, sucht das Max-Rill-Gymnasium das Gespräch mit den Eltern und dem Psychologen des Kinds, sagt Monika Sader, Lerncoach und stellvertretende Internatsleiterin. Gemeinsam werden Strategien und Ziele entwickelt, nach einem Hilfeplan des Jugendamts. Hochbegabte Kinder bekommen Extra-Aufgaben, die sie lösen können, wenn die anderen mit einer Aufgabe noch nicht fertig sind. Ein Ziel ist meist die soziale Integration.

Max-Rill-Schule

Beide besuchen die Max-Rill-Schule.

(Foto: Manfred Neubauer)

Hansis Probewoche sei mit guten Ergebnissen zu Ende gegangen, sagt Reinwald: Der Bub pflege bereits über WhatsApp Kontakt zu künftigen Mitschülern. "Die anderen haben ihn mit offenen Armen aufgenommen, er war wirklich sofort willkommen." Hätte Hansi diese Aufgeschlossenheit auch in seinem alten Gymnasium erlebt, hätte es Reinwalds Meinung nach gar keine Probleme gegeben. Doch dort sei sein Autismus niemals thematisiert worden.

Trotz der Folgen des Mobbings - eine Kinder- und Jugendpsychiaterin schickte Hansi für sechs Wochen auf Reha, er litt unter Tinnitus und Erschöpfung - wolle sich der Freistaat auf die Idee der kleinen, ruhigen Privatschule nicht einlassen. Ein Beamter habe ihr gesagt, wenn Hansi auf dem Gymnasium nicht funktioniere, müsse er eben in ein Förderzentrum, sagt Reinwald. Sie habe dem Beamten von Hansis guten Noten erzählt. "Und da hat der Beamte gesagt: Dann stellen Sie ihn eben mit Ritalin so ein, dass er auf dem staatlichen Gymnasium überleben kann."

Auch die Landwirtschaftsarchitektin Dorothea Haas könnte sich die Max-Rill-Schule nicht leisten, und dennoch sah sich die Mutter vor sieben Jahren gezwungen, ihren inzwischen 17-jährigen autistischen Sohn Konstantin in dem Schlösschen einzuschulen. Das Jugendamt habe die Kosten bis Februar übernommen, dann wurde die Zahlung eingestellt, Haas bekam einen Brief. Ein Jahr vor seinem Abschluss soll Konstantin die Schule verlassen und auf ein staatliches Gymnasium wechseln, obwohl die Gefahr nach Haas' Einschätzung groß ist, dass er dann das Abitur nicht schafft. Das Amt betrachtet Konstantin als integriert, er werde sich an einer anderen Schule schon zurechtfinden. Und wenn nicht, habe er ja immerhin die Mittlere Reife. "Und dann kommt der Spruch: Es gibt kein Recht auf Abitur", sagt Haas.

Konstantin Haas ist ein hochgewachsener Teenager. Er drückt sich gewählt aus, macht ab und zu einen Witz, sagt, dass ihm am Max-Rill-Gymnasium die kleinen Klassen gefielen - maximal 20 Schüler in jeder - und verstummt plötzlich, als er nach der Zeit vor Max Rill gefragt wird. "Verdrängt, völlig verdrängt", sagt seine Mutter. "Es war vom ersten Tag an chaotisch, am dritten Tag ist er abgehauen und hat gesagt: Da gehe ich nicht mehr hin." Im Unterricht versteckte er sich unter dem Tisch, die Schule wollte ihn ins Förderzentrum stecken, eine motorische Störung erschwerte ihm das Schreiben. In der dritten Klasse baute sich immer mehr Druck auf: Konstantin sollte sich anpassen - und bekam Magenblutungen. In einer Klinik erhielt Haas den Rat, ihren Sohn ins Internat zu schicken, wegen der geregelten Tagesabläufe und der kleineren Klassen. Das Jugendamt genehmigte den Antrag damals in nur drei Tagen; jetzt hat sich der Wind gedreht.

Autisten Max-Rill-Schule

Konstantin Haas ist für Melissa Zowislo ein ganz normaler Mitschüler, sein Autismus gehört eben zu ihm.

(Foto: Manfred Neubauer)

Die Max-Rill-Schule sei Reinwald und Haas bei den Schulkosten entgegen gekommen, sagt Schulleiterin Carmen Mendez. Sie zeichnet ein düsteres Bild von staatlichen Schulen: Das Gymnasium habe "eine störungsfreie Schule" zu sein, auf begabte, aber auch bedürftige Kinder gehe niemand ein, viele würden ins Förderzentrum gesteckt, etwa weil ihre Begabung einseitig sei wie bei Konstantin: in Mathematik und den Naturwissenschaften ein Ass, im Schreiben eine Niete. Durch die Inklusion wandle sich die Wahrnehmung an staatlichen Schulen zwar, verändert habe sich bisher aber wenig, kritisiert Mendez. "Man redet viel über Inklusion, aber sie darf nichts kosten."

Wichtig sei es, den Kinder eine Umgebung zu bereiten, in der sie angenommen würden und Erfolgserlebnisse hätten. In der Max-Rill-Schule sei das machbar: "Wir haben die erstaunliche Erfahrung gemacht, dass diese Kinder bei uns nahezu unauffällig sind", sagt Mendez. Die Kosten müsse die Schule selbst tragen. Anders als bei Förderzentren - die jedoch eine ganz andere Zielgruppe hätten als das Gymnasium. Reinwald sieht den Unterschied täglich, sie arbeitet an einem Förderzentrum. "Da kann man kein Gymnasiumskind hinschicken, nur weil es nichts anderes gibt", sagt sie.

Konstantins Mitschülerin Melissa Zowislo war lange Schülerin eines staatlichen Gymnasiums. 29 Schüler seien sie in einer Klasse gewesen. Ihr Urteil: "Da interessiert es die Lehrer nicht wirklich, wer man ist." Konstantins Autismus sei, auch wegen der erklärenden Gespräche zu Beginn, in der Klasse gar kein Thema, sagt Melissa. "Es ist einfach ein Schüler, der wird aufgenommen. Und dann ist er eben Autist."

"Autistische Kinder am Gymnasium - wir machen das!" - Vortrag des Autisten Peter Schmidt mit Gesprächsrunde mit betroffenen Schülern und Eltern in der Aula des Max-Rill-Gymnasium Reichersbeuern, Samstag, 4. Juni, 10 Uhr.

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