Rafik Schami:Ein begnadeter Erzähler

Rafik Schami: Rafik Schami im Kreise seiner überwiegend weiblichen Leserschaft. Der aus Syrien stammende Autor begeistert mit seiner Sprache und Erzählweise.

Rafik Schami im Kreise seiner überwiegend weiblichen Leserschaft. Der aus Syrien stammende Autor begeistert mit seiner Sprache und Erzählweise.

(Foto: Hartmut Pöstges)

Der Bestsellerautor stellt in Wolfratshausen seinen neuen Roman vor. Die Zuhörer sind gefesselt von seiner bildreichen Sprache. Auf die aktuelle Situation in seiner Heimat Syrien geht er nicht ein.

Von Christa Gebhardt, Wolfratshausen

Rafik Schami spricht frei und stehend über seinen neuen Roman "Sophia oder der Anfang aller Geschichten". Er stellt die Hauptfiguren vor, schildert Charaktere und Lebenslauf, berichtet von den im Clangestrüpp verstrickten Männern und Frauen, ihren Sehnsüchten, ihren Enttäuschungen und Ängsten. Er gestikuliert, scherzt mit dem Publikum, greift sich ans Herz, gelegentlich fällt ein kommentierender Satz, er schlüpft in die Rollen seiner Figuren und spielt vor, wie sie sich fühlen und verhalten, in schlimmen, oder auch in glücklichen Momenten ihres Lebens.

So macht er anschaulich mit Händen und Fingern vor, wie ein junger, in Liebe erglühter Mann die Briefe seiner Angebeteten, die einen anderen geheiratet hat, in kleinste Teilchen "atomisiert". Er zeigt, wie "hoch erfreut" ein ahnungsloser Gastgeber die Tür öffnet, und statt der 40 zum Essen geladenen Familienmitglieder und Nachbarn die doppelte Anzahl zum Dinner kommt. Ja, Schami ist ein begnadeter Erzähler. Wer ihn zum ersten Mal erlebt, ist gefesselt, wer ihm schon oft begegnet ist, ist es auch.

Natürlich spielt auch dieser neue Roman in Syrien, seiner Heimat, wie auch im Ausland, dem Exil. Schami kennt beides. Damaskus, die einst farbenreiche, von vielen Volksgruppen und allen Religionen bewohnte orientalische Stadt hat ihn geprägt wie auch das Leben in Deutschland als Geflüchteter, zu Beginn der 70-er Jahre. Bestimmt nicht einfach, Fuß zu fassen. Aber was ihm im Besonderen gelang, ist, was alle seine Werke auszeichnet, und was seine Leser so sehr an seinen Büchern lieben: Schami hat die blumige, metaphernreiche arabische Sprache in die deutsche Sprache hinein gerettet und unsere oft so unterkühlten Wörter mit Farben, Gerüchen und hautnah erlebbaren Bildern angefüllt.

Davon schwärmt auch das Publikum, überwiegend Frauen jeden Alters, die wenige Ehemänner oder Söhne im Schlepptau haben. Almut Haufe aus Icking sagt: "Toller Mann, wundervoller Schriftsteller, trotz allem, was er erlebt hat, so stark geblieben!" Oder Christian Kneesebeck mit seiner syrischen Frau Mona, die in Syrien gelebt und gearbeitet haben. Schami erinnert sie mit seinen Büchern an diese gute Zeit, in der sie extrem herzliche Menschen und eine quicklebendige orientalische Welt kennen gelernt haben, wie auch Jutta Portner aus Ambach, die sich durch den Roman "Die dunkle Seite der Liebe" in seine fantasiereiche arabische Sprachkunst verliebt hat.

Über die aktuelle Situation in Syrien spricht Schami nicht. Er hat auch keine Diskussionsrunde eingeplant. Er habe, sagt er, damit keine gute Erfahrung gemacht, man "verzettele sich". Schami hat sich an anderer Stelle explizit zu Syrien geäußert. Seine Leseabende seien als Liebeserklärung an Syrien und Damaskus gedacht, seine Zuhörer sollen sein Land in ihr Herz schließen, die Hoffnung auf Frieden gebe er trotz großer Traurigkeit nicht auf. Das sagt er auch an diesem Abend. Am meisten am Herzen liegen ihm die Kinder, die, oftmals traumatisiert, in diesem Krieg Jahre ihres Lebens verlieren. Daher hat er auch einen Verein zur Unterstützung von syrischen Kindern und Jugendlichen gegründet. Persönlich verbürgt er sich, dass Spenden dort auch hundertprozentig ankommen. (www. schams.org).

Nein, ein politischer Autor ist Rafik Schami nicht, aber durch seine Büchern erfährt der Leser weit mehr von der Kultur, Religion, Politik, Rivalität der Clans und dem Alltag in Syrien als durch mediale Diskussionsrunden und politische Kommentare. Schamis Figuren erzählen von der Gewalt, der Verhinderung interkonfessioneller Liebe, vom Geborgen-, aber auch Gefangensein in der Sippe, von Blutfehde, Sehnsucht nach Freiheit, von der beständigen Bespitzelung durch Geheimdienste, auch von Rebellion und Widerstand.

Die Hauptfiguren von "Sophia oder der Anfang aller Geschichten" zeigen die Facetten dieses komplizierten Zusammenlebens. Da sind Sophia, die Christin, zur Elite von Homs gehörend, und ihre Jugendliebe Karim, Sunnit mit reicher muslimischer Familie, in guten katholischen Internaten erzogen, der flüchten muss, weil er den "Ehrenmord" an seiner Schwester nicht vollziehen will. Beide durchleben Phasen von tiefem Kummer, in denen sie "den Schlüssel ihrer Seelen in den See geworfen haben". Eine weitere Hauptfigur ist Sophias Sohn Salman, der sich mit seinem gewaltbereiten Cousin Elias verbündet und zum Revolutionär wird. Auf den rechten Weg zurückgebracht wird er von Amalia, Schamis Lieblingsfigur, weil sie "eine Rebellin" ist, die sich in dreifacher Weise widersetzt: Sie studiert ("gehört sich nicht!"), sie geht ins von Männern dominierte Kaffeehaus ("unsittlich!"), und sie heiratet, wen sie will ("unmöglich!"), einen Protestanten ("eine Katastrophe!"). Mit welchen weiblichen Listen Salman schließlich aus einer tödlichen Falle gerettet wird, die ihm Elias gestellt hat - inzwischen ein hohes Tier beim Geheimdienst - verrät Schami nicht. Das steht in dem neuen Roman, der an diesem Abend in Stapeln verkauft und vom Autor signiert wird.

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