Lesung:So klein ist die Welt der Geheimdienste

Pullach war erst NS-Mustersiedlung, dann Zentrale des Bundesnachrichtendienstes. Der Ebenhausener Publizist Karl-Otto Saur verbindet mit dem Ort viele persönliche Erinnerungen. Davon erzählt er bei einer Buchvorstellung im "Mariandl"

Von Wolfgang Schäl, Pullach/Ebenhausen

Eine endlose, verwitterte Betonmauer, Stacheldraht , dahinter ein Hauch von Verfall, der sich auch im Vorbeifahren vom S-Bahn-Fenster aus vermittelt - es ist nach wie vor ein düsterer, abweisender Ort, auch wenn man sich hier gegenüber der Öffentlichkeit längst um mehr Transparenz bemüht und in breiten blauen Lettern am Eingangstor zu lesen steht, wer da in Pullach residiert: der Bundesnachrichtendienst (BND), zuständig für die Auslandsaufklärung.

Es ist ein Ort, der viel mit der deutschen Vergangenheit zu tun hat, mit dem Nationalsozialismus, aber ebenso viel mit der Nachkriegsgeschichte. Karl-Otto Saur, langjähriger SZ-Redakteur und Veranstalter der Reihe "Kultur im Keller" im Ebenhauser "Mariandl", verbindet mit dem BND eine Menge persönlicher Erinnerungen, und auch seine Familiengeschichte ist damit verwoben: Saurs Vater, er hieß mit Vornamen ebenfalls Karl-Otto, leitete von 1941 bis 1945 das Hauptamt für Technik im NS-Rüstungsministerium und war einer der engsten Vertrauten Adolf Hitlers. Saur "junior", Jahrgang 1944, geht damit nicht nur offen, sondern offensiv um, er hat darüber, gemeinsam mit seinem Sohn Michael, sogar ein Buch geschrieben: "Er stand in Hitlers Testament - Ein deutsches Familienerbe" heißt der Titel des 2007 im Econ-Verlag erschienen Bandes.

Pullach, BH, Ausstellung, Geschichte des BND-Geländes,

Martin Bormann, Leiter der NSDAP-Parteikanzlei, wohnte in Pullach.

(Foto: Angelika Bardehle)

Die Geschichte des Bundesnachrichtendienstes ist auch Thema einer Veranstaltung im "Mariandl". Es ist ein Zusatztermin, denn beim ersten Durchgang im Januar war das öffentliche Interesse zu groß für die räumlichen Kapazitäten: "Wir sind einfach total überrannt worden", freut sich der Gastgeber. Im Mittelpunkt steht ein Buch, eine schwergewichtige, wissenschaftlich profund recherchierte Abhandlung: "Geheimobjekt Pullach - Von der NS-Mustersiedlung zur Zentrale des BND" (Ch. Links-Verlag, Berlin). Autoren sind Susanne Meinl und Bodo Hechelhammer. Meinl, die schwerpunktmäßig für den NS-Teil des Buches verantwortlich zeichnet, wird am Sonntag im Rahmen eines von Saur moderierten Gesprächs, "einer Art Talkshow", wie er sagt, über ihre Arbeit berichten. Dabei gehe es sowohl um die Vorkriegs- als auch um die Nachkriegsgeschichte. Die schlechte Nachricht für alle, die sich für die Historie des Ortes interessieren: Es wird wohl auch diesmal sehr schwierig werden, im leider arg beengten "Mariandl" einen Platz zu finden.

In Karl-Otto Saur, der 1949 als Fünfjähriger nach Pullach gekommen und selbst dort aufgewachsen ist, hat die Historikerin Meinl einen Gesprächspartner und Moderator, der aus dem Vollen schöpft und mit einem Füllhorn an eigenen Erinnerungen aufzuwarten weiß. Das betrifft unter anderem das Haus am Ebenhauser Rodelweg 10, in dem er wohnt und seine Kulturreihe veranstaltet. In den 1980er Jahren hatte es der BND angemietet, der dort unter anderem Sommerfeste veranstaltete. "Der Zufall wollte es, dass wir 1995 in das Haus mit der Kellerkneipe Mariandl einzogen", sagt er. An der Tür hing damals noch ein Schild "Institut für Nachrichtentechnik". Vom Vormieter erfuhren die neuen Bewohner dann, dass es sich dabei um den BND handelte.

Lesung: Die Geschichte des Orts "Von der NS-Mustersiedlung zur Zentrale des BND" haben nun zwei Wissenschaftler ausgeleuchtet.

Die Geschichte des Orts "Von der NS-Mustersiedlung zur Zentrale des BND" haben nun zwei Wissenschaftler ausgeleuchtet.

(Foto: CH.Links Verlag)

Gut erinnern kann sich Saur auch noch an Mitschüler in Icking: "Alle, die während des Schuljahres zu uns in die Klasse gekommen sind, waren Kinder von BND-Mitarbeitern, die in die Orte rund um Pullach gezogen waren." In der Schule, vor allem am Ickinger Gymnasium, haben sich nach Saurs Worten "viele Mosaiksteine in meinem Kopf zusammengefügt", einschließlich manch merkwürdiger Begegnungen mit der Welt der Geheimdienste. Im Gedächtnis geblieben ist Saur auch, dass die Schwester eines engen Schulfreundes den Sohn von Reinhard Gehlen geheiratet hat, dem einstigen Generalmajor der deutschen Wehrmacht und ersten Präsidenten des Bundesnachrichtendienstes.

Wie Susanne Meinl in dem beeindruckend illustrierten Buch darlegt, ist die "Enklave Pullach" vor mehr als einem halben Jahrhundert entstanden, als Mustersiedlung für die nationalsozialistische Elite in München, genannt "Reichssiedlung Rudolf Heß". Ihr wurde später ein Führerhauptquartier angegliedert. Das Projekt bildete für Hitler eine gelungene Umsetzung nationalsozialistischer Zukunftsvisionen, eine "mustergültige Lebensgemeinschaft mit ernährungspolitischer Autarkie". Jede der Villen hatte einen eigenen großen Garten, der biologisch-dynamisch bewirtschaftet wurde. Nebst Hitler war dort die gesamte NS-Prominenz vertreten, Reichsminister Martin Bormann, Leiter der NSDAP-Parteikanzlei, wohnte selbst in Pullach. Dass es zu dem Gelände einen eigenen Gleisanschluss gab, der von der Isartalstrecke abzweigte, weiß auch Saur noch.

Lesung: Karl-Otto Saur kann als Gastgeber und Moderator im "Mariandl" mit einer Fülle von Erinnerungen aufwarten.

Karl-Otto Saur kann als Gastgeber und Moderator im "Mariandl" mit einer Fülle von Erinnerungen aufwarten.

(Foto: Hartmut Pöstges)

1945 wurde das Areal evakuiert, die US-Armee rückte ein und nutzte das Gelände zunächst als Kriegsgefangenenlager, danach ließ sich die amerikanische Zensurbehörde nieder, bis 1947 die ersten Geheimdienstmitarbeiter kamen. Mittlerweile ist der BND auf mehrere tausend Angestellte angewachsen und zieht nach und nach in die Bundeshauptstadt um.

"Zeitgeschichte vor der Haustür", Vorstellung des Buches "Geheimprojekt Pullach", Sonntag, 22. Februar, 19 Uhr, Mariandl, Ebenhausen. Anmeldungen unter saur@kontor.de, Tel. 08178/93 08 11

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