Prozess am Landgericht:Untragbare Zustände

Suchtkranker erhält keine Hilfe und wird straffällig - mildes Urteil

Von Andreas Salch, Wolfratshausen/München

Er war obdachlos, lebte zeitweise im Wald und schlief nachts mitunter auf dem Friedhof. Es war die Zeit, in der im Leben von Lutz F. (Name geändert) alles aus dem Ruder gelaufen war. Er betrank sich oft und war medikamentenabhängig. Schließlich fand er Unterschlupf in einer Bleibe in der Gemeinde Eurasburg. Dort war der 60-jährige Altenpflegerhelfer aber sich selbst überlassen. Es wurde alles noch schlimmer. Lutz F. hatte zwar einen Rechtsanwalt als Betreuer. Doch der soll sich kaum um seinen Mandanten gekümmert haben. Lutz F. beging Straftaten. Unter anderem kündigte er seinem Betreuer an, er werde ihn mit einer Flinte erschießen. Wegen Bedrohung, Beleidigung, versuchter Nötigung, versuchter Körperverletzung und Sachbeschädigung wurde Lutz F. am Freitag vor dem Landgericht München II zu sechs Monaten Haft auf Bewährung verurteilt.

Inzwischen lebt der Altenpflegehelfer in einer sozialtherapeutischen Einrichtung in Geretsried und hat offenbar im Leben wieder Tritt gefasst. Er trinkt keinen Alkohol mehr. Lutz F. leidet an einer Persönlichkeitsstörung mit paranoiden Zügen. Bei den Taten, die der 60-Jährige begangen habe, so ein psychiatrischer Sachverständiger, sei jedoch zu berücksichtigen, dass er sich in einer zugespitzten sozialen Situation befunden habe und in einem "Milieu" lebte, das "von Asozialität und Aggressivität gekennzeichnet ist." Mit Milieu meinte der Forensiker die Unterkunft in der Gemeinde Eurasburg, in der Lutz F. zum Zeitpunkt der Taten wohnte. Bis zu zwanzig Obdachlose sollen dort leben. Der Leiter der Unterkunft soll mit der Herberge sehr gut verdienen. Angeblich erhält er für zwanzig Personen pro Monat öffentliche Zuschüsse in Höhe von bis zu 9000 Euro. Die Zustände in der Bleibe seien "untragbar", empörte sich der Verteidiger und Betreuer von Lutz F., Rechtsanwalt Burkhard Pappers, beim Prozess vor der dritten Strafkammer.

Ein Polizist, der als Zeuge gehört wurde, sagte angesichts der Verhältnisse in der Herberge: "Die Leute kommen dorthin und bald schon tot wieder raus." Kritik übten Verteidiger und Gericht auch an dem früheren Betreuer von Lutz F., einem Wolfratshauser Rechtsanwalt. Obwohl er gewusst habe, dass der 60-Jährige alkoholkrank ist und an Diabetes leidet, habe er sich wenig um ihn gekümmert. Lutz F. hatte den Juristen in dessen Kanzlei angegangen. Zuvor hatte der Anwalt F. allerdings provoziert. Bei seiner Aussage vor Gericht hatte der Anwalt das sogar eingeräumt und erklärt: Er habe dies ganz bewusst getan. Er habe testen wollen, wie weit der Angeklagte gehe. Richter Martin Hofmann griff diese Aussage bei der Urteilsbegründung auf und sagte zum Verhalten des Anwalts: "Kein Kommentar."

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