Praxis statt Studium:Von Geretsried in die weite Welt

Wer heute bei der Bauer Group lernt, könnte später einmal mit arabischen Ländern zu tun haben. Der Azubi-Tag zeigt, dass auch Jugendliche mit Hochschulreife das Lernen im Betrieb reizvoll finden

Von Thekla Krausseneck, Geretsried

Ein kleiner Blick auf die Verkleidung der Erdgastankstelle, und es wird dem Betrachter mal wieder klar: Die Welt ist zusammengerückt. Im Hof der Firma Bauer Kompressoren stehen die knapp zwei Meter hohen Zapfsäulen nebeneinander, beschrieben mit fremden Schriftzeichen, die wohl kaum einer der 45 Auszubildenden lesen kann: Arabisch. Vom Sitz des Unternehmens in einer Seitenstraße Geretsrieds gehen die Erdgastankstellen bald auf Reisen. Ihr Ziel: Abu Dhabi. Im größten Emirat der arabischen Föderation rüstet Bauer derzeit das Erdgasnetz auf, mit Containern, durch die der Rohstoff in dem Golfstaat bald auch an Orten gezapft werden kann, an denen keine Pipelines verlaufen.

Die jungen Gäste, die sich am Azubi-Tag durch den Betrieb führen lassen, hören Geschichten wie diese von Harald Hironimus, der seit zwölf Jahren für die Bauer Group arbeitet. Von einem echten Facharbeiter also - einem jener Menschen in der Produktionskette, die einfach unersetzlich sind, wenn man Dinge bauen möchte wie Erdgastankstellen für Abu Dhabi.

Doch Menschen wie Hironimus werden selten. 700 Lehrstellen waren im Landkreis zum Beginn des neuen Ausbildungsjahrs frei, aber nur 500 Azubis traten eine Lehre an. Fast jede dritte Lehrstelle ist unbesetzt geblieben, ein Umstand, mit dem vor allem kleine und mittelständische Betriebe zu kämpfen haben. Sie bekommen zum Teil nicht einmal Bewerbungen. Der Grund: Immer mehr Jugendliche absolvieren das Gymnasium, seit 2005 ist die Anzahl der Abiturienten um 54 Prozent gestiegen, meldet die Industrie- und Handelskammer (IHK). Der Trend geht nach wie vor hin zur Universität. Das könnte für die Industrie übel ausgehen: Fachkräftemangel herrscht schon jetzt, ohne Azubis wird er sich noch verschärfen.

Dramatisch ist die Lage aber nicht überall. Bauer Kompressoren etwa habe dieses Jahr alle Lehrstellen besetzen können, sagt Personal- und Marketingleiter Richard Schmidt. Davon ausgenommen sei nur ein Platz für ein Duales Studium der Wirtschaftsinformatik. Tatsache sei aber auch, dass dieses Jahr weniger Bewerbungen eingetroffen seien als im Vorjahr.

Die 45 Azubis aus den Betrieben Bauer, Tyczka Totalgaz, Krämmel und EagleBurgmann haben sich alle entweder in diesem oder in den vergangenen zwei bis drei Jahren für eine Ausbildung entschieden. Nicht etwa, weil es ihnen an Möglichkeiten oder Qualifikation gemangelt hätte: Die meisten besitzen die Mittlere Reife und hätten damit an der Fachoberschule (FOS) ihr Abitur nachholen können. Einige haben die Hochschulreife bereits, doch auch ihre Wahl fiel nicht auf die Universität.

Die Gründe sind vielseitig: Dominik Kirchenberg etwa hatte das Schulleben satt, vor allem die ewige Auswendiglernerei. Er wollte endlich etwas Handfestes tun, sagt der 20-Jährige. Klar habe er auch darüber nachgedacht, zu studieren - als Abiturient mache man sich solche Gedanken zwangsläufig. Nach dem Abi kommt nun mal die Uni: Für viele seiner Mitschüler sei das die einzige logische Konsequenz. Auch wenn sie gar nicht wussten, wohin sie im Leben wollten. Der Klassiker sei Betriebswirtschaftslehre: "Das nimmt jeder, der keine Ahnung hat." Die Rate der Studienabbrecher sei in seinem Bekanntenkreis entsprechend hoch. Er selbst habe "ganz bewusst" die Ausbildung gewählt. Wenn er im Juni/Juli 2016 mit der Lehre fertig sei, könne er darauf aufbauen. Die Option, zu studieren, habe er dann immer noch. Dann aber mit viel geringerer Fallhöhe.

Tyczka Totalgaz konnte heuer ebenfalls alle seine sieben Lehrstellen besetzen, sagt Pressesprecherin Astrid Gövert, fünf davon in Geretsried und zwei in der Niederlassung in Leipzig. Tyczka Totalgaz erhalte immer sehr viele Bewerbungen: wegen des guten Rufs vermutlich, denn der Betrieb sei schon fünfmal als "Great Place to Work" ausgezeichnet worden. Und das, so Gövert, spreche sich rum.

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