Podiumsdiskussion:Lästige Ausgleichsflächen

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Um die Entwicklung des Ballungsraum München ging es bei einer Diskussion in Ebersberg. Mit dabei: der Geretsrieder Bürgermeister Michael Müller (li.). (Foto: Christian Endt)

Mit den geltenden Bauvorgaben sei der Zuwachs um München nicht zu stemmen, sagt der Ebersberger Landrat bei einer Podiumsdiskussion. Bürgermeister Michael Müller sieht bessere Chancen beim Wohnungsbau

Von Isabel Meixner, Ebersberg

Um dem Zuzug im Großraum München Herr zu werden, stellt der Ebersberger Landrat Robert Niedergesäß (CSU) die Praxis infrage, Ausgleichsflächen für Baugebiete ausweisen zu müssen. Bei den Bautätigkeiten, die auf die Landkreise rund um die Landeshauptstadt in den nächsten Jahren zukomme, sei diese Forderung schwer zu halten. Auch das Credo, in den Orten erst den Innenbereich nachzuverdichten, ehe im Außenbereich Bauland ausgewiesen wird, sieht er auf dem Prüfstand. "Wir müssen uns um ein paar heilige Kühe Gedanken machen", sagte Niedergesäß bei einer Podiumsdiskussion des Planungsverbands Äußerer Wirtschaftsraum in Ebersberg zum Thema Wohnungsbau und Arbeitsmarkt. Die sogenannten Ausgleichsflächen sollen dauerhaft erhalten und gepflegt werden und so kompensieren, dass bei Bautätigkeiten Natur zerstört wird.

Auch die Vorschrift, neue Bauflächen an die Orte anbinden zu müssen, stand in der Kritik. Dieses Anbindungsgebot soll verhindern, dass die Landschaft zersiedelt wird. So behindere aber eine stärkere interkommunale Zusammenarbeit verhindert, etwa bei der Planung gemeinsamer Gewerbegebiete, sagte Peter Kammerer, stellvertretender Hauptgeschäftsführer der Industrie- und Handelskammer für München und Oberbayern.

Doch nicht nur rechtliche Rahmenbedingungen erschweren den Bau neuer Wohnungen. Viele Orte im Münchner Umland wollen überhaupt nicht wachsen oder nur in Maßen. Und weil es in der Planungshoheit der Kommunen liegt, Baugebiete auszuweisen, sind Landkreisen und dem Freistaat die Hände gebunden. Michael Müller (CSU), Bürgermeister der 24 000 Einwohner großen Stadt Geretsried, beobachtet in der Bevölkerung inzwischen allerdings mehr Bereitschaft, Wohnraum zu schaffen: "Hätte ich vor drei Jahren gesagt, wir planen auf 7000 Einwohner plus hin, hätte ich das so nie durchgebracht." Die Einstellung zum sozialen Wohnungsbau hat sich aus Müllers Sicht verändert: Besonders der Flüchtlingszuzug habe bei den Lokalpolitikern dazu beigetragen, die Notwendigkeit zu erkennen. Auch weil die Stadt im Zuge der geplanten S-7-Verlängerung von Wolfratshausen nach Geretsried damit rechnet, noch attraktiver für Pendler zu werden, arbeitet sie derzeit an einem groß angelegten Wohnungsraumprojekt: Von 2016 an sollen jährlich 500 bis 600 Wohnungen geschaffen werden, kündigte Müller an.

Doch hier kommt eine weitere Herausforderung hinzu, wie die Lokalpolitiker bei der Podiumsdiskussion deutlich machten: die Bürger. Robert Niedergesäß nannte Poing als Beispiel, dessen Bevölkerungszahl sich seit 1990 auf heute 15 000 Bürger verdoppelt hat. Dort hat sich die Gemeinde vor mehr als 20 Jahren die heutigen Baugebiete gesichert und die entsprechenden Bebauungspläne geändert - ohne große Bürgerproteste. "So etwas wäre heute nicht mehr möglich", vermutet Niedergesäß. Er kritisierte in dem Zusammenhang auch das Verhalten von Behörden: "Öffentliche Stellungnahmen drehen sich bei Bürgerprotesten teils um 180 Grad." Was vorher zwischen Amt und Planer besprochen worden sei, sei plötzlich nichts mehr wert. "Wir brauchen die Unterstützung von oben", sagte der Landrat.

Münchens Stadtdirektor Stephan Reiß-Schmidt sprach sich dafür aus, dass Bebauungspläne künftig schneller verabschiedet werden können. Mit Stellungnahmen und Bürgerbeteiligung ziehen sich die Planung oft über Monate, wenn nicht Jahre hin - und das in einer Zeit, in der jedes Jahr mehr als 25 000 Menschen in den Großraum ziehen und nur etwa 10 000 Wohnungen geschaffen werden. Bei aller Notwendigkeit, Wohnraum zu schaffen, mahnte Reiß-Schmidt an, für die Zukunft auch Gewerbeflächen vorzuhalten. Hier sei eine engere Zusammenarbeit zwischen Land und Stadt gefordert. Denn haben Betriebe keine Möglichkeit zu erweitern, wandern sie ab - und mit ihnen die Arbeitsplätze, die München und die Region so attraktiv machen.

© SZ vom 05.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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