Plagiatstreit:Kampf der Kräuterlikör-Hersteller

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Nach einer geheimen Rezeptur ihrer Großtante stellt Petra Waldherr-Merk den Kräuterlikör "Hirschkuss" in Gaißach her. (Foto: Manfred Neubauer)

Die "Hirschkuss"-Erfinderin erhebt schwere Vorwürfe gegen den "Hirschrudel"-Vermarkter Verpoorten. Der reagiert mit einem Anwalt.

Von Klaus Schieder, Gaißach

Im ersten Moment hatte sich Petra Waldherr-Merk von dem Anruf nicht aus der Ruhe bringen lassen. Im Spätherbst vorigen Jahres meldete sich ein Tester, der für Hotels und Gaststätten neue Spirituosen degustiert, am Telefon bei der Unternehmerin in Gaißach. Er erzählte ihr, dass er den Kräuterlikör "Hirschkuss" bei einer Verkostung probiert habe - auf der Flasche stand allerdings mit "Hirschrudel" ein ganz anderer Name. So etwas komme schon mal vor, sagt Waldherr-Merk, wenn jemand den Likör in kleine Flaschen umfülle, ohne kommerziellen Hintergedanken.

Hellhörig wurde sie allerdings, als der Tester weiter berichtete, es habe sich aber im Gegenteil um ein seriös aufgemachtes Produkt gehandelt. Waldherr-Merk begann zu recherchieren, fand im Internet die Homepage der "HirschRudel GmbH" und der Vertriebsfirma Seven Spirits.

Sie kaufte sich eine Flasche "Hirschrudel" und fand das Ergebnis "bestürzend". Geruch, Geschmack, die Legende dazu - alles beinahe identisch, sagt sie. Gegen den Hersteller erhebt sie nun den Vorwurf des Plagiats. Beim Patentamt München hat sie die Löschung dieser Marke beantragt.

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Um sicher zu gehen, schickte sie beide Liköre in ein Labor in Berlin. Das Ergebnis der Analyse: "Das Aromaprofil ist nahezu identisch", sagt Waldherr-Merk. Ein ähnlicher Geschmack ist bei solchen Spirituosen nichts Ungewöhnliches, das weiß auch ihr Sohn Felix Merk. Allerdings hätten beide Produkte eine Rum-Note, was für Kräuterliköre "untypisch" sei.

Sauer stoßen ihm auch Ähnlichkeiten im Herstellungsprozess auf. Im Internet informiert die Seven Spirit GmbH, dass der "Hirschrudel" in kleinen Flaschen von Hand abgefüllt und etikettiert werde - wie dies auch in Gaißach geschieht. Merk mag das nicht glauben. Er hegt wegen entsprechender Vermerke auf Internetseiten mit "Hirschrudel" den Verdacht, dass die Firma Condor das Produkt aus Bonn maschinell abfülle.

Auch die Legenden, die sich um die beiden Liköre ranken, gleichen sich. Darin stehe, dass Dirk Verpoorten, Gründer und Geschäftsführer von Seven Spirits, vor drei Jahren das Kräuterlikör-Rezept seiner Großmutter gefunden habe, sagt Petra Waldherr-Merk. 2012 habe er aber schon die Marke "Hirschrudel" angemeldet. "Verpoorten scheint es mit der Wahrheit nicht so genau zu nehmen." Es sei dieses Gesamtpaket, das sie beunruhige, sagt die Gaißacher Unternehmerin.

Ihre Gefühle reichten "von Bestürzung bis Wut - da kommt alles". Sie schaltete ihren Patentanwalt Herbert Pätzold ein, der gegenüber Seven Spirits die Verletzung gewerblicher Schutzrechte monierte. Die Firma aus Bonn konterte über ihren Anwalt, der mit einer Feststellungsklage drohte. "Er hat uns seine Rechnung mitgeschickt", sagt Felix Merk.

Dirk Verpoorten weist den Plagiatsvorwurf strikt zurück. "Hirschkuss" und "Hirschrudel" unterscheiden sich nach seiner Ansicht schon auf den ersten Blick klar voneinander - von der Form der Flasche über den Verschluss bis hin zum Etikett. Alleine deshalb sieht er nicht die Gefahr einer Verwechslung.

Der "Hirsch" in beiden Produktnamen ist für ihn auch nichts Außergewöhnliches, da dieser Name in der Getränkeindustrie gängig sei - vom "Heißen Hirschen" über den "Hirsch"-Likör der Firma Kisker bis zum "Hirschkrah" der Firma Bauer aus Graz. Die Gaißacher Manufaktur könne deshalb "schlecht ein Monopol für diese Tierart beanspruchen", betont Verpoorten.

Was den Geschmack anbetrifft, verweist der Geschäftsführer darauf, dass bei einer Blindverkostung von 15 Kräuterlikören vier oder fünf ähnlich wie der "Hirschkuss" schmecken würden. "Unser Kräuterlikör ist ein Premiumprodukt und hat eine deutlich bessere Konsistenz", sagt Verpoorten.

Zudem habe "Hirschrudel" mit 35 Prozent einen anderen Alkoholgehalt als das Produkt aus Gaißach mit 38 Prozent. Das Resultat der Laboranalyse in Berlin hält er für unerheblich. Das spiele keine Rolle, "da wir Frau Waldherr-Merks Rezept nicht adaptiert haben", meint Verpoorten.

Gegenseitige Vorwürfe

Und überhaupt: "Über ein Laborgutachten, was selbst in Auftrag gegeben wird, brauche ich Ihnen wohl nicht viel zu sagen." Der Geschäftsführer bestätigt, dass er die Marke Hirschrudel vor vier Jahren angemeldet hat. Ehe er ein Jahr später das Poesiealbum mit dem Rezept fand? "Vielleicht handelt es sich bei 2013 um einen Zahlendreher, mir ist hier nichts anderes bekannt."

Die Gaißacher Manufaktur befürchtet, dass der "Hirschkuss" nun selbst als Plagiat wahrgenommen werden könnte. Die Verwechslungsgefahr sei groß, sagt Petra Waldherr-Merk und führt als Beispiel den Gast einer Berghütte an, der dort den Hirschkuss trinke, später in einen Supermarkt gehe, diesen Likör - "irgendwas mit Hirsch im Namen" - kaufen wolle und den Hirschrudel bekomme. Ein Likör sei zwar als Marke geschützt, nicht aber die Rezeptur, sagt Felix Merk. "Das ist wie bei Coca Cola."

Auf dem Markt der Spirituosen sind Plagiate laut Waldherr-Merk "relativ normal", zu jeder erfolgreichen Marke gebe es Billigvarianten. Bei "Hirschrudel" sei dies allerdings genau andersherum. Verpoorten bezeichne diesen Likör selbst als Premiumprodukt und verkaufe ihn auch entsprechend teuer, sagt die Unternehmerin. Er habe "sicherlich ganz andere Möglichkeiten, sich auf dem Markt zu positionieren, als dies unserer kleinen Firma möglich ist". Verpoorten sei schließlich "kein Kleiner".

Dem widerspricht der Geschäftsführer. Er gehört zur Familie, aber nicht zum Management des Eierlikör-Herstellers, die Firma Seven Spirits ist seine eigene. Sie habe nichts mit dem Unternehmen Verpoorten zu tun, heißt es aus dem Konzern. Hirschrudel und Seven Spirits hätten insgesamt nur sieben Mitarbeiter, in Gaißach seien knapp 20 beschäftigt, teilt der Geschäftsführer mit.

Nach dem Antrag beim Patentamt München will die Gaißacher Unternehmerin abwarten. Der angedrohten Feststellungsklage der Gegenseite sieht sie gelassen entgegen: "Wir haben sehr viel Material, das mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit beweist, dass unsere Vermutungen wahr sind", erklärt sie. Verpoorten mutmaßt hinter dem Plagiatstreit indes ein Motiv, das er so formuliert: "In der Presse-Vermarktung hat Frau Waldherr-Merk, um somit den Bekanntheitsgrad ihres Produktes zu tätigen, reichlich Erfahrung."

© SZ vom 02.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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