Oberland:Wie eine Gemüse-Genossenschaft den Ackerbau gerechter machen will

Biotop Oberland

Mangold erntet Katerina Pohlova auf dem ein Hektar großen Feld von "Biotop Oberland" am Hofgut Letten bei Bad Heilbrunn.

(Foto: Manfred Neubauer)

"Biotop Oberland" zieht Salat, Paprika und Co. für seine Mitglieder - und kämpft so gegen Lebensmittelverschwendung, Plastikmüll und Transporte um den Globus.

Von Klaus Schieder, Bad Heilbrunn

Am Anfang standen Zucchini. Als Gärtner musste Sebastian Girmann einmal drei Schubkarren voll auf den Kompost kippen. Dabei war das Gemüse völlig in Ordnung, die Zucchini passten nur nicht in die genormten Transportkisten, die man in den Supermärkten in der Obst- und Gemüseabteilung sieht. Sie waren einfach zu groß. "Das war der Punkt, wo es mir endgültig gereicht hat", sagt Girmann. "Ich habe mir gesagt, das muss irgendwie anders gehen."

Im Frühjahr 2015 gründete er deshalb "Biotop Oberland eG" - eine Genossenschaft, die sich der Direktvermarktung in Reinform verschrieben hat. Ein vierköpfiges Team baut Gemüse an, die Mitglieder holen es sich jeden Freitag an insgesamt acht Verteilstationen im südlichen Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen ab. Ein Modell, das im ersten Jahr erfolgreich lief. Nach dem Start mit 45 Teilnehmern und einer sechsmonatigen Testphase gehören inzwischen etwa 120 Mitglieder der Genossenschaft an. "Und wir kriegen immer noch regelmäßig Anmeldungen", sagt Girmann.

In dem kleinen Gewächshaus auf dem Hofgut Letten bei Bad Heilbrunn ist es nach den kühlen Herbsttemperaturen draußen angenehm warm. Der Gartenbauingenieur und seine Mitstreiter ziehen dort Paprika. In einer Reihe hängen die länglichen Früchte noch grün, einige wechseln ihre Farbe aber schon nach rot. In einer anderen liegen ein paar gelbe Schoten auf dem Boden. Sie gehören zu einer Sorte, "die extrem schnell Sonnenbrand bekommt und weich wird", so Girmann. Aus diesem Anbau wurde nichts. Aber das spielt keine Rolle.

Das Gemüse aus dem Biotop Oberland stammt aus samenfesten Sorten, solchen also, die aus eigenen Samen gewonnen werden. Im Handel besteht das Sortiment hingegen meist aus Hybriden - hochgezüchtete Kreuzungen, die von wenigen Großkonzernen produziert werden. "Sie sind ertragsstark und extrem einheitlich im Wuchs", erklärt Girmann. "Sie schauen toll aus, aber dafür schmecken sie oft nach nichts."

Die Paprika oder der Kohl aus samenfesten Sorten gleichen sich indes nicht wie ein Ei dem anderen, sie sind groß oder klein, länglich oder eher rund. Da kann ein Blaukrautkopf schon mal drei Kilogramm wiegen, ein anderer nur ein Kilo. Aber dafür hätten sie auch viel mehr Inhaltsstoffe wie Vitamine oder Mineralien, sagt Girmann. Und was den Geschmack angeht, lägen "wirklich Welten" zwischen ihnen und dem Sortiment in den Supermärkten. Eine Tomate schmeckt noch nach Tomate, eine Karotte nach Karotte. "Und weil sie uneinheitlich reifen, haben wir den Vorteil, ein langes Erntefenster von zwei bis drei Wochen zu haben."

Form und Größe sind völlig egal

Die Form und die Größe des Gemüses ist den Mitgliedern nach Girmanns Worten völlig egal. Jeden Freitag packt das vierköpfige Team die Lieferkisten voll und bringt sie bis Mittag zu den acht Verteilstationen. Drei davon befinden sich in Bad Tölz, zwei in Lenggries, je eine in Greiling, Tutzing und dem Hofgut Letten. In Plastiktüten sind Kohlrabi, Sellerie oder Zuckermais nicht verpackt, darauf hat man sich in der Genossenschaft geeinigt. Es kann deshalb vorkommen, dass ein Salatblatt auf einer Kartoffel klebt. In jeder Station steht auch eine Tauschkiste, wo die Mitglieder ein Gemüse, das sie nicht mögen, gegen ein anderes austauschen können. "Das wird sehr gut angenommen", berichtet Girmann. "Es gibt einen regen Tauschhandel."

Die Stationen symbolisieren das zweite Motiv des Gartenbauingenieurs, das Biotop Oberland zu gründen. Er hält es für "fragwürdig, wenn Gemüse Tausende von Kilometern rund um den Globus transportiert wird". Zumindest eine Grundversorgung mit Waren aus der Region in der Region müsse möglich sein, meint er. Dann rechnet er vor, dass man durch Biotop Oberland mehr als drei Tonnen Lebensmittel davor bewahrt habe, auf dem Abfall zu landen. "Alles, was bei uns an Ernte anfällt, wird komplett aufgeteilt", sagt er. Außerdem habe eine Untersuchung der Universität Gießen gezeigt, dass die Produktion von einem Kilo Tomaten in konventionellen, beheizten Gewächshäusern einen weit höheren CO₂-Ausstoß erzeuge als bei regional-biologischem Anbau, wo er verschwindend gering sei.

Der Vorsitzende bekommt nur ein Grundgehalt

Sebastian Girmann möchte die Genossenschaft gerne weiter ausbauen. Jedes Mitglied zahlt einen einmaligen Beitrag von 120 Euro und dann 48, respektive 68 Euro im Monat für die viermalige Lieferung. Das reicht bislang, um Saatgut, Jungpflanzen, Logistik und teilweise das Personal zu finanzieren. Damit könne man derzeit jedoch nur rund 30 Prozent der Arbeitsstunden bezahlen, sagt Girmann, der als Vorsitzender der Genossenschaft ein Grundgehalt bekommt, "mit dem ich überleben kann". 150 bis 200 Mitglieder wären nötig, um auch die Arbeitsstunden ganz zu bezahlen.

Noch mehr wären besser, dann könnte sich eine Vision von Girmann erfüllen. Er träumt davon, dass aus Biotop Oberland "irgendwann einmal eine genossenschaftlich betriebene Gärtnerei mit eigenen Gewächshäusern und eigenen Flächen wird". Im Moment hat die Genossenschaft neben dem Gewächshaus auf Hofgut Letten ein Hektar Land gepachtet, außerdem noch ein halbes Hektar neben der Demeter-Gärtnerei "Evas Paradiesgarten" in Waakirchen. Die Verteilstationen, die im Winter nach Penzberg und Weilheim, nach Miesbach und Tegernsee ausgedehnt werden sollen, könnten dann vielleicht auch im Nordlandkreis entstehen. Ob es dafür überhaupt genug Kunden gibt? "Ich höre ganz oft, dass Leute sagen, sie haben noch nie was von uns gehört", erzählt der Gartenbauingenieur. "Ich denke, dass da noch viel Luft nach oben ist."

Weitere Informationen und Mitgliedsformular im Internet, www.biotop-oberland.de

Die unbekannten Sorten

Fast 60 verschiedene Kulturen baut die Genossenschaft "Biotop Oberland" auf dem Hofgut Letten bei Bad Heilbrunn und in Waakirchen an. "Alles, was man so kennt", sagt Sebastian Girmann, Vorsitzender der Genossenschaft. Nicht zuletzt aber auch, was man kaum kennt. Zu den bunten Möhrensorten gehören etwa lilafarbene Karotten. "Die schmecken unglaublich gut." Tomaten, Kohlrabi, Sellerie, Rotkohl oder Mais sind jedem Verbraucher geläufig, aber runde Zucchini, wie sie von Girmann und seinem Team angebaut werden, dürfte eher wenige gesehen haben. "Sie können genauso verarbeitet werden wie normale Zucchini."

Zu den Besonderheiten zählen ebenso Winterpostelein - ein Wintersalat, der selbst in einem unbeheizten Gewächshaus gedeiht. Oder ein Zuckerhutsalat. Dabei kann es vorkommen, dass er noch ein wenig Mehltau hat. Der Grund: Weil es sich um samenfeste Sorten handelt, hat der Salat keine eingezüchtete Resistenz gegen Mehltau-Stämme, sondern "eine allgemeine Feldtoleranz", die auf gesundes Wachstum ausgerichtet sei, so Girmann. Dafür habe man nie "das Problem eines Totalausfalls" wie bei den Standardsorten, wenn ein neuer Mehltau-Stamm auftauche. Außer Mangold in diversen Farben hat das Biotop Oberland auch mehrere Paprika-Arten - von "Pantos", einer roten Spitzpaprika, über Aphrodita bis hin zu Cubo Orange, die Girmann zufolge eine eher "blockige Paprika" ist. Dem Mitgliedern der Genossenschaft schmeckt's, wie der Vorsitzende erzählt. "Wir bekommen oft die Rückmeldung, dass die Paprika so lecker und die Tomate so gut sei." sci

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