Nach Unfall gefällt:Mein Freund, der Baum

Andrei Stefanescu und Ursula Wöhlcke fotografierten die vier Bäume an der B11 jahrein, jahraus in Icking vom Bahnwärterhäusl aus. Daraus entstand ein kleiner Film. Nach den Fällungen haben sie das Ende umgeschnitten.

Von Claudia Koestler, Icking

Es war der Ausblick, der Andrei Stefanescu und seine Frau Ursula Wöhlcke von Anfang an fasziniert hat. Seit rund zehn Jahren leben er und seine Frau in dem kleinen Bahnwärterhäusl in Irschenhausen. "Von unserem Haus aus haben wir eine ungehinderte Sicht bis zu den Bergen", sagt Stefanescu. In dieser Sichtachse fest verankert waren vier Bäume. Über die Jahre hinweg beobachteten die Eheleute, wie sie ein ums anderen Mal ihre Blätter ausbildeten, in saftigem Grün vor der Alpenkette standen, sich im Herbst bunt färbten und im Winter Schnee und Raureif sie einhüllten. Ein so gewohnter wie stetig wechselnder Ausblick für das Ickinger Ehepaar, den es so nicht mehr gibt. In der vergangenen Woche ließ das Staatliche Bauamt Weilheim die vier Bäume fällen.

Nach dem tödlichen Unfall in der Nacht des 1. Mai, bei dem zwei 19-jährige Schäftlarner ums Leben kamen, als sie mit ihrem Fahrzeug gegen einen der Bäume prallten, hatte das Bauamt reagiert: Zu gefährlich sei der Streckenabschnitt, weil die Bäume zu nahe an der Straße stünden. Um die Verkehrssicherheit zu erhöhen, so der Schluss, mussten die Bäume weichen.

Die Tragik des Unfalls ist in der Gemeinde Konsens, die Trauer verbindet die Bürger. Doch gegen die Baumfällung regt sich Widerstand: Leserbriefe, Anrufe und Stellungnahmen ebben nicht ab. Auch Stefanescu und Wöhlcke finden die Reaktion des Bauamtes "traurig". Ihr Weg des Protestes ist kreativ: Sie haben einen kurzen Film gefertigt, der Fotografien der Bäume im Wechsel der Jahreszeiten zeigt und als Erinnerung dienen soll.

"Natur ist uns beiden sehr wichtig. Wir genießen es, in diesem Idyll leben zu dürfen und nehmen deshalb unsere Umwelt sehr bewusst wahr", sagt Stefanescu. Er war zuvor in München als Business Coach tätig, seit rund zehn Jahren genießt er den Ruhestand und widmet sich der Bildhauerei und künstlerischen Projekten. Er und seine Frau greifen deshalb auch immer wieder zur Kamera und dokumentieren die Landschaft, insbesondere jene Bäume zu jeder Jahreszeit und in unterschiedlichen Lichtstimmungen. Ein ungewöhnlicher Schnappschuss gelang ihm vor wenigen Jahren, als ein Circus in Icking überwinterte: Ein Elefant spazierte mit seinem Tiertrainer durch die verschneite Allee.

Dieses Bild, so erklärt Stefanescu, hätte eigentlich das Schlussbild eines eher fröhlichen kleinen Films aus zahlreichen Fotografien über die Bäume im Wandel der Zeit werden sollen: "Der Elefant ist inzwischen weitergezogen, aber die Bäume sind noch da", hatte Stefanescu ursprünglich als Schlusssatz im Kopf. Jetzt aber sei das Ende ein ganz anderes. Die kurze Filmcollage endet mit dem Umschnitt des letzten der vier Bäume und dient nicht mehr als kleines Dokument, sondern als Mahnmal und Erinnerung. "Es fehlt einfach etwas im Landschaftsbild", bedauert Stefanescu, weshalb er sich entschloss, den kurzen Film zu veröffentlichen, um den Bäumen wenigstens virtuell einen Platz einzuräumen.

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