Musik:Klangvolle Dutzendware

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Elisabeth Göbel hat das kaum bekannte Werk von Georg Philipp Telemann sorgfältig einstudiert und dirigiert mit präzisen Gesten. (Foto: Manfred Neubauer)

Johanneskantorei singt Deutsches Magnificat von Telemann. Für die erkrankte Solistin Stephanie Krug springt die Tölzer Sopranistin Veronika Jetter mit gut geführter, sicherer Stimme ein

Von Reinhard Szyszka, Bad Tölz

Gleich zwei Dekane auf einmal: Der Gottesdienst in der evangelischen Johanneskirche zum zweiten Weihnachtsfeiertag wartete mit geistlicher Prominenz auf. Neben dem Hausherrn, dem Tölzer Dekan Martin Steinbach, war sein Kollege Stefan Reimers aus Fürstenfeldbruck erschienen, der die Predigt hielt. Doch das war nicht die einzige Attraktion. Es ist langjährige und gute Tradition, dass am 26. Dezember in dieser Kirche ein Kantatengottesdienst mit viel Musik gefeiert wird, was weit über die Gemeinde hinaus die Zuhörer anzieht. Und so war die Kirche voll.

Dekanatskantorin Elisabeth Göbel hatte diesmal ein Deutsches Magnificat von Georg Philipp Telemann ausgesucht, ein wenig bekanntes Werk. Der Instrumentalpart war auf ein Minimum beschränkt: neben der Orgel als Continuo-Instrument solistisch besetzte Streicher und Blockflöten anstelle der eigentlich vorgesehenen Oboen. Bei den beengten Platzverhältnissen im Chorraum sicher eine gute Lösung; außerdem wurde der Chor auf diese Weise auch an den leisen Stellen nicht zugedeckt.

Der Eingangschor zeigte die Stärken ebenso wie die Schwächen des Werks und der Ausführenden. Telemann war kein himmelstürmender Neuerer, und das Magnificat macht da keine Ausnahme. Wohlklingende, meisterlich gesetzte Musik ohne den leisesten Anspruch, mit tiefgründigen Aussagen die Hörer zu erschüttern. Barocke Dutzendware, gewiss, aber mit einer solchen Routine und einer selbstverständlichen Beherrschung aller musikalischen Mittel geschrieben, dass keine Langeweile aufkommt. Die harmonischen Kühnheiten und kontrapunktischen Finessen eines Bach sucht man vergebens, dennoch schätzte Bach seinen Kollegen Telemann so hoch, dass er manche seiner Werke eigenhändig abschrieb, wodurch sie irrtümlich ihren Weg ins Bach-Werke-Verzeichnis fanden.

Die Johanneskantorei sang klar, sauber und homogen. Göbel hatte das kaum bekannte Werk sorgfältig einstudiert und dirigierte mit präzisen Gesten. Dennoch vertieften sich einige Sängerinnen und Sänger des Chors vom ersten bis zum letzten Ton allzu sehr in ihre Noten und gönnten der Dirigentin kaum einen Blick, obwohl die Musik nicht überaus komplex war. Auf diese Weise hatte Göbel kaum Möglichkeiten, während der Aufführung musikalisch einzugreifen und Gestaltungsnuancen anzuzeigen. Für den Solopart war Stephanie Krug eingeplant, die leider erkrankt war. Für sie kam die Tölzer Sopranistin Veronika Jetter, die schon im Vorjahr beim Vivaldi-Gloria überzeugt hatte. Jetter bewährte sich auch diesmal mit gut geführter, sicherer, nicht allzu großer Stimme. Bei den Koloraturen fühlte sie sich in ihrem Element.

Der Chorsatz "Er übet Gewalt" enthält einige Musterbeispiele barocker Klangrede, also tonmalerischer, geradezu plakativer Verdeutlichungen des Textes. Wenn vom "Zerstreuen" der Hoffärtigen die Rede ist, dann "zerstreuen" sich auch die Chorstimmen, und das "Stoßen" der Gewaltigen vom Stuhl wird ebenso sinnfällig und unmissverständlich umgesetzt. Hier bewährte sich die Chorarbeit von Elisabeth Göbel, die jedes Klangbild, jedes Symbol klar herausmeißelte. Das abschließende "Amen" enthielt einige vertrackte Koloraturen für den Chor. Die Johanneskantorei bewältigte diese Nummer nicht fehlerfrei, aber doch mit Anstand, so dass kleinere Patzer gnädig zugedeckt wurden.

Doch nicht nur bei Telemann war der Chor gefordert, sondern auch bei einigen Chorälen im Laufe des Gottesdienstes, die im Wechsel mit der Gemeinde gesungen wurden. Hier bewegten sich die Sängerinnen und Sänger auf vertrautem Gelände und überzeugten restlos. Besonders gelungen: das abschließende "O du fröhliche", wo Chor und Gemeinde gemeinsam sangen und der Chor einen Satz von Josef Michel darbot, der das bekannte Weihnachtslied mit einem Gloria-Text kombinierte und überhöhte. Ein würdevoller Ausklang des Gottesdienstes, der über so manche kleinere Schwächen hinwegsehen ließ und letztlich doch einen positiven Gesamteindruck bewirkte.

© SZ vom 27.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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