Münsing:Kopfkino und Bildersturm

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Le-Thanh Ho betreibt in der Tenne tiefschürfende Seelenarbeit

Von Claudia Koestler, Münsing

Wer die amerikanische Comedy-Sendung "Friends" kennt, erinnert sich vielleicht an ein Zitat daraus von Chandler Bing, als er aus einer Theateraufführung kommt: "It's like someone literally wrote down my worst nightmare and then charged me thirty-two dollars to see it!" Grob übersetzt: Es sei buchstäblich so, als ob jemand seine schlimmsten Albträume niedergeschrieben habe und ihm dann Eintrittsgeld abknöpfte, um sie auf der Bühne zu sehen.

Es sei verziehen, dass man einem absolut bemerkenswertem Konzert, das am Freitag in der Münsinger Tenne stattfand, mit profaner Comedy begegnet. Die Flucht in den Humor ist möglicherweise ein Gegenpol, den das Konzert herausgefordert hat. Denn so bemerkenswert und klangmagisch es auch war: Eine Ironikerin ist wirklich nicht verloren gegangen an der aus Vietnam stammenden Le-Thanh Ho. Wo es andere in den Eskapismus treibt, betreibt sie tiefschürfendste Seelenarbeit. Und wo sich andere in ein günstiges Licht rücken, um von etwaigen Schwächen abzulenken, da entblößt sie mit jener Unnachsichtigkeit, die gerade romantische Naturen an den Tag legen können, auf direktem Weg das Dunkel ihres Herzens. Das Ergebnis sind Lieder, die aufregen, mitreißen, aber auch mitnehmen und aufreiben. Weil sie, sagen wir: aus dem Rahmen fallen und im Kopfkino einen Bildersturm lostreten.

Nun, wer sich auf die Gemütszustände Liebe, Sehnsucht und Einsamkeit fokussiert, dem bleibt auch nicht viel Wahl, wenn es darum geht, den Soundtrack für seine Existenz auszusuchen.

Das Konzert zur Veröffentlichung ihres Erstlingswerks "Elephant", das Le-Thanh Ho zusammen mit der Bratschistin Manuela Mocanu und dem Gitarristen Flemming Børby in Münsing gab, fegte denn auch von Beginn an alle Beschaulichkeit und alle Unbeschwertheit hinweg. Musik für die eher grübelnden Tage des Lebens. Tage, an denen der Sinn nach Teetrinken steht, nach Starren ins Leere und nach Verzweiflung. Dabei verstärkt Le-Thanh Ho solche Gefühle mit ihrer Musik, bringt sie auf eine andere Ebene. Ein Psychologe würde das wahrscheinlich Sublimierung nennen, man kann aber auch einfach berührende Klänge dazu sagen. Auf jeden Fall aber war das Gesamte ein Manifest, das da in Songpoemen Gestalt annahm, eine Kampfansage an die Oberfläche, an Analysten, Realisten und Gleichmacher. An Menschen, die zu selbstzufrieden sind, um sich zu erforschen, zu ängstlich für die Risiken der Liebe, zu träge für die Mühen der Menschlichkeit.

Dabei waren es weniger ihre doch recht einfach gestrickten Akkorde, sondern ihre Texte und die sichere Stimme, mit der sie auch gerne spielte, raunte oder hauchte, was für durchgehende Gänsehaut sorgte. Kostprobe gefällig? "Das Zimmer in der Großstadt liegt in Flammen, als mein Kleid den Boden berührt, und die Tür fällt ins Schloss, wir sind zusammen, verbrannt sind wir hier: Schachmatt", singt Le-Thanh Ho etwa. Oder: "Ich kann nicht zerbrechen, weil mir der Boden dazu fehlt, ich ziehe rastlos durch die Straßen und schlachte Hasen auf dem Balkon", heißt es in "Elefantenwalzer". Oder: "Schlägst du mich, packst du mich in Zellophan ein? Fessle mein Gefühl für dich, ich tanze in Zellophan für dich." Ihre Mutter habe, verriet sie dem Publikum, gefragt, warum ihre Konzerte immer so deprimierend sein müssten. Eine Antwort gab sie darauf nicht, aber eine Liebeserklärung: "Wenn Du blind bist, lass mich Dir zeigen, wie wundervoll Du bist." Ein Hauch von Erbauung zwischendurch, der guttat, und einen den Gedanken, ihr Johanniskraut-Tee reichen zu wollen, wieder verwerfen ließ. Die Erkenntnis, dass Liebe die Lösung scheint, mag nicht neu sein. Le-Thanh Ho weiß davon aber neue Lieder zu singen.

© SZ vom 29.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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