Montessori-Schule:Lernen ohne Notendruck

Lesezeit: 3 min

Die Montessorischule im Kloster Dietramszell will Kinder dazu erziehen, ihre Potenziale selbst zu entfalten. Die einzige Prüfung ist die "Große Arbeit". Im Mai feiert die Einrichtung ihr 25-jähriges Bestehen.

Petra Schneider

Die Montessori-Schule Dietramszell gibt es seit 25 Jahre. Die Lerngruppe Klostergeister freut sich auf die Feiern (Foto: Manfred Neubauer)

Imposant erhebt sich das Kloster der Salesianerinnen im Dorfkern von Dietramszell. Nur wenige Nonnen wohnen noch im Kloster. Seit mehr als zwanzig Jahren beherbergt das Gebäude die staatlich anerkannte Montessorischule, die im Mai ihr 25-jähriges Bestehen feiert. Die Atmosphäre dort hat nichts von einschüchternden Klostermauern.

Ein warmer Holzboden, helle Flure, an den Wänden hängen Plakate mit Projektarbeiten - "Marco Polo und die Seidenstraße" kann man da etwa lesen. Schulmief? Fehlanzeige. Kaffeeduft weht aus der Cafeteria, die seit kurzem von Schülern betrieben wird. Es ist ruhig hier und aufgeräumt, zwei Schülerinnen fragen höflich, ob sie weiterhelfen können. Im Gang sitzen der siebenjährige Dominik und der achtjährige Juri. Konzentriert arbeiten sie an einem Projekt über Piraten: Eine ganze Seite haben sie schon voll geschrieben, Dominik malt gerade ein Piratenschiff. "Wir müssen das nicht machen, aber wir wollten", sagt Juri. Warum sie auf dem Gang arbeiten? "Das soll doch eine Überraschung für die anderen sein." Wer in einer Montessorischule kreatives Chaos erwartet, wird schnell eines Besseren belehrt.

"Freiheit ist das eine, Disziplin das andere", sagt Schulleiter Michael Rettinger, der seit 19 Jahren an der Schule arbeitet. Denn Freiheit erfordere Verantwortung - das will er den Schülern vermitteln. Seit sieben Jahren leitet der promovierte Pädagoge die Dietramszeller Montessorischule. Gegründet wurde die Grund- und Hauptschule von einer Elterninitiative in Geretsried. Als die Räume der ehemaligen Realschule im Kloster frei wurden, siedelte die Montessori-Schule im Jahr 1991 nach Dietramszell über. Wenn man den 57-jährigen Direktor fragt, was seine Schule von den staatliche Regelschulen unterscheidet, sagt er spontan: "Es gibt bei uns keine Noten." Das Ziel von Erziehung sei nicht, Kinder zu formen, sondern ihnen Lernumgebungen und Begleiter an die Hand zu geben, damit sie ihre Potenziale entfalten könnten. "Und zwar in ihrer eigenen Zeit und gemäß ihrer Begabung."

Umgesetzt wird das Konzept in altersgemischten Lerngruppen mit je 26 Schülern und zwei Lehrern. Gerade in der Pubertät habe sich das Voneinanderlernen bewährt, sagt Rettinger: Jugendliche, die diese oft schwierige Phase gemeistert hätten, wirkten als positives Modell für Jüngere. Die Montessori-Pädagogik setzt auf Eigenverantwortung und die Bereitschaft, lernen zu wollen. Dass das vor allem in der Pubertät zu Verweigerung führen kann, weiß auch Rettinger. Durch Gespräche versuche man, Konflikte zu klären. "Aber einen Königsweg gibt es nicht." Auch die Mitarbeit der Eltern und regelmäßige Gespräche gehören zum Konzept. Dass Lernen nicht nach festgelegten Lehrplänen ablaufe, daran müssten sich manche Väter und Mütter gewöhnen, sagt Rettinger. "Es kommt vor, dass Eltern ihre Kinder rausnehmen, weil sie sagen, ich kann nicht mehr warten, bis mein Kind endlich lesen lernt."

285 Mädchen und Jungen besuchen derzeit die Dietramszeller Schule, die Zahlen sind seit Jahren stabil. Die Schüler können den Hautschulabschluss, den qualifizierenden Hauptschulabschluss und seit 2001 auch den Realschulabschluss machen. Danach haben sie die Möglichkeit, an die Montessori-Fachoberschule (MOS) nach München oder an eine staatliche FOS zu wechseln. Im vergangenen Jahr hätten alle Schüler des M-Zuges den Realschulabschluss geschafft. "Den Quali bestehen 80 Prozent", sagt Rettinger. Auch sechs von acht Grundschülern nähmen erfolgreich am Probeunterricht teil, der sie zum Übertritt an ein Gymnasium berechtigt.

Die einzige Prüfung, die für alle Montessorischüler verpflichtend ist, ist die "Große Arbeit" in der achten Klasse: Projekte zu selbst gewählten Themen müssen aufbereitet und dann vor großem Publikum präsentiert werden. "Das ist eine Art Initiationsritus für den Eintritt in die Gesellschaft", sagt Rettinger. Seit 2011 gibt es ein neues Projekt an der Schule: Die "Erdkinderstufe" der Siebt- und Achtklässler zwischen 12 und 18 Jahren. Dazu hat die Schule ein Haus in Arzbach angemietet, in dem jeweils neun Schüler mehrere Wochen mit einer Lehrerin und einem Betreuer leben und lernen. So zeigt etwa ein Schreiner den Schülern den Umgang mit Maschinen und Material, die Schüler müssen selbständig einkaufen und kochen. Vom Leben fürs Leben lernen, darum gehe es, sagt Claudia Müssig, die vom Erdkinderprojekt überzeugt ist. Denn den Abnabelungsprozess in der Pubertät könne man am besten außerhalb des Elternhauses fördern, findet die Schülermutter. "Meine Tochter stand noch in meinem Windschatten, als sie nach Arzbach ging. Als sie zurückkam, hatte ich ein Gegenüber."

© SZ vom 24.04.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: