"Montagsclub":Reden über Depressionen

Christel Hansing

Christel Hansing gründete die Selbsthilfegruppe "Montagsclub".

(Foto: Manfred Neubauer)

Vor 20 Jahren hat Christel Hansing die Selbsthilfegruppe für psychisch Kranke gegründet

Von Alexandra Vecchiato, Bad Tölz

Der Alltag. Er lastet einem regelrecht auf der Seele. Was man sich vornimmt, schafft man nicht. Und weil das so ist, wird man immer unzufriedener. Ein Teufelskreis. Christel Hansing hat diesen Teufelskreis durchbrochen und ihre Depressionen überwunden. Ein steiniger Weg für die heute 75-Jährige. Nach Krankenhaus-Aufenthalt und Therapie hat sie sich einen eigenen Weg heraus aus jenem tiefen Tal gesucht. Sie gründete vor 20 Jahren die Selbsthilfegruppe "Montagsclub" für psychisch Kranke. Eine Pionierarbeit, denn "damals gab es nichts Vergleichbares hier", sagt Christel Hansing.

Es war in den 1980er-Jahren, als sich das Leben von Christel Hansing von Grund auf änderte. Sie und ihr Ehemann Berend hatten ein Gästehaus in Lenggries gebaut. Gerne seien Urlauber zu ihnen gekommen, wegen der familiären Atmosphäre, erzählt Hansing. Plauderstunden mit ihnen bis Mitternacht seien an der Tagesordnung gewesen, dann morgens wieder auf der Matte stehen müssen, dazwischen Baustelle und ihre beiden kleinen Söhne - irgendwann sei sie "total erschöpft" gewesen. Dieses Gefühl, keine Rückzugsmöglichkeit zu haben, setzte Christel Hansing zu. "Irgendwann konnte ich nicht mehr." Sie vernachlässigte den Haushalt und war nicht mehr in der Lage, sich um die Kinder zu kümmern. Ihr Mann sprang ein, was "uns beide nicht glücklich gemacht hat". Unausgeglichen sei sie gewesen, leicht reizbar. Zu einem Psychiater zu gehen, kam aus Scham nicht infrage.

Irgendwann suchte Christel Hansing einen Therapeuten auf. Er sei keine gute Wahl gewesen, betont sie heute. Die Gespräche mit ihm hätten keine Besserung gebracht. So blieb eines Tages nur noch die Psychiatrie im Klinikum Haar. Drei Wochen sei sie dort gewesen. "Total schrecklich" sei das für ihren Mann und die Söhne gewesen, erinnert sie sich. Sie selbst sei nach langer Zeit zu sich selber gekommen. "Ich hatte Ruhe und kompetente Ansprechpartner." In Haar sei ihr klar geworden, dass sie eine Selbsthilfegruppe gründen möchte. Der Tölzer Mediziner und Fachmann Arnold Torhorst habe sie darin bestärkt. Am 5. Februar 1997 fand das erste Treffen des "Montagsclub", der Selbsthilfegruppe für Psychiatrie-Erfahrene, statt. Fünf Teilnehmer waren es damals, die beschlossen, sich wöchentlich zu treffen.

Heute steht der "Montagsclub" nicht mehr allein Psychiatrie-Erfahrenen offen. Etwa 22 Frauen und Männer von etwa 30 bis 75 Jahren treffen sich zum Reden. Sie bringen alle ihre Geschichte mit, "ihre Krankheit", sagt Christel Hansing. Depressionen, Panikattacken oder Doppeldiagnosen mit einer Suchtthematik in Kombination mit Depression gehören etwa dazu. Mittlerweile kommen obendrein Angehörige und Körperbehinderte zu den Gesprächen. Denn miteinander zu sprechen, sich vertrauen zu lernen und den anderen mit seinen Stärken und eben Schwächen zu akzeptieren, ist Ziel der Selbsthilfegruppe, die jetzt den Zusatz "für seelische Gesundheit" trägt. Nach vorne zu schauen, sei wichtig, betont die 75-Jährige - und die Initiative zu ergreifen. "Es gilt, selbst Lösungen zu finden, oder wenn ich dazu nicht in der Lage bin, mir Hilfe zu holen."

Christel Hansing hat ihre Depression überwunden. Nicht ohne Medikamente. Auch das gehöre zum Genesungsprozess dazu: anzunehmen, dass die Medikamente nicht abgesetzt werden dürfen, wenn es einem - vermeintlich - besser geht.

Das Organisieren der Selbsthilfegruppe habe ihr ebenfalls sehr geholfen, erzählt die 75-Jährige. Sie sei vor ihrer Erkrankung in der Erwachsenenbildung tätig gewesen. Das Unterrichten und der Umgang mit Menschen liege ihr. "Dieses wöchentliche Auf-der-Matte-Stehen, um den Montagsclub bei Therapeuten und Psychiatern bekannt zu machen, war eine große Anstrengung, hat mich zugleich aber auch bestärkt und mir gut getan." Und heute? Nach der Scheidung hat Christel Hansing 2005 zum zweiten Mal Ehemann Berend geheiratet. Ihre Söhne, die damals beim Vater blieben, waren Trauzeugen. "Wir sind wieder eine Familie."

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