Möglicher Ude-Nachfolger Alexander Reissl:Der Prinz von Moosach

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"Ich gehöre nicht zu denen, die sich selbst als Kandidat ausrufen": SPD-Fraktionschef Alexander Reissl will sich noch nicht offiziell um die Ude-Nachfolge bewerben - schließt sie aber nicht aus.

Dominik Hutter

Klartext reden will er nicht, noch nicht. "Ich gehöre nicht zu denen, die sich selbst als Kandidat ausrufen", sagt Alexander Reissl. Ein Satz, den man auch als Stichelei auslegen könnte - schließlich hat Konkurrent Dieter Reiter bereits sehr unmissverständlich seine Ambitionen auf die Nachfolge von Christian Ude kundgetan.

"Ich gehöre nicht zu denen, die sich selbst als Kandidat ausrufen", sagt SPD-Fraktionschef Alexander Reissl. (Foto: Catherina Hess)

Reissl hält es da eher mit Zurückhaltung und übt Rücksicht auf die Befindlichkeiten von Parteigremien, die sich ungern übergangen fühlen. Trotzdem vergisst er nicht zu erwähnen, selbst schon seit Mitte der neunziger Jahre im Gespräch und somit "der älteste lebende OB-Kandidat" zu sein. Im Urteil anderer, das ist ja genau der Witz.

Was der 52-Jährige, als Fraktionschef der SPD schon heute einer der mächtigsten Männer im Rathaus, da in seinem etwas düsteren Büro sagt, lässt aber eigentlich nicht viel Spielraum für Interpretationen. In seiner Partei gibt es denn auch keinen Zweifel daran, dass Reissl gerne in die großzügigen Fluchten des OB-Büros mit Blick auf den Marienplatz umziehen würde.

Der Mann, der seit seinem ersten Lebensjahr im Stadtteil Moosach lebt, hat nur ein Problem: Er ist ins Hintertreffen geraten. Das ziemlich durchsichtige Ablenkungsmanöver, bei dem Ude im Sommer gleich neun Kandidaten für seine Nachfolge in die Diskussion warf, wurde mangels Erfolg rasch wieder beendet, und plötzlich verselbstständigte sich die Debatte. Inzwischen gilt der leutselige Wirtschaftsreferent Reiter als Nummer eins in der Erbfolge - und auch Ude scheint einverstanden zu sein.

Dass sich die SPD nun unerwartet früh auf eine Kandidatendebatte einlässt, zeigt aber auch, dass der Partei die Endlichkeit von Udes Macht allmählich bewusst wird. Dass es Zeit wird, einen Nachfolger aufzubauen. Ein Rathaus-Genosse mutmaßt sogar, dass "der Stern des Christian Ude schon im Sinken begriffen ist". Wie auch immer: Offenkundig hat die SPD ihre Angst verloren, gegen den übermächtigen Vorgänger könne ohnehin niemand bestehen - lange Zeit galt es als ausgemacht, dass jeder öffentlich diskutierte Nachfolger innerhalb kürzester Zeit "verbrannt" sei.

Reissl muss nun aus der Verfolgerposition antreten. Das tut er mit großem Selbstbewusstsein. "Noch ist keine Entscheidung gefallen", sagt er - eine Einschätzung, die durchaus auch in SPD-Kreisen zu hören ist. Dort gilt Reissl uneingeschränkt als Vollprofi der Kommunalpolitik, als einer, der schneller als andere komplexe Sachverhalte durchschauen kann.

Der gebürtige Münchner hat zudem noch den Vorteil, dass er sich ganz selbstverständlich auf allen Politikgebieten profilieren kann, während sein Konkurrent als Wirtschaftsreferent vor allem seinem Ressort verpflichtet ist.

Das Selbstbewusstsein, das Reissl ausstrahlt, hat freilich auch Nachteile. Wenn der Vater zweier Kinder im Sitzungssaal des Rathauses ans Rednerpult tritt, ist ihm die Rolle als Chef der größten Regierungsfraktion deutlich anzumerken. Da werden schon einmal Kollegen, die sich weniger sorgfältig vorbereitet haben, abgekanzelt, und auch den Grünen macht er gelegentlich klar, wem in dieser Koalition die Juniorrolle zufällt.

"Ich bin nicht dazu da, Sympathien zu verteilen", sagt Reissl über sein Verhältnis zu den Grünen, das er alles in allem als konstruktiv und gut beschreibt. In den Fluren des Rathauses gilt es jedoch als offenes Geheimnis, dass sich die Liebe der Grünen zu dem spröden SPD-Mann in Grenzen hält. Reissl steht jedoch zu seiner Rolle: als Fraktionschef für die Interessen der SPD einzutreten.

Die weniger wohlmeinenden Kollegen aus der Opposition werten Reissls Art als Arroganz - willkommene Arroganz freilich, schließlich hofft man, dass die Münchner im Wahlkampf einen ähnlichen Eindruck gewinnen. Beim eloquenten Strahlemann Reiter hingegen jagt oft ein Scherz den anderen. Wenn der einstige Vize-Kämmerer, der ebenfalls über Jahrzehnte kommunalpolitischer Erfahrung verfügt, Anekdoten aus seinem Leben als Wirtschaftsreferent erzählt, schwingt stets eine gehörige Portion Selbstironie mit.

Und den Zuhörern fällt das Ernstbleiben schwer. Natürlich kann aber auch Reissl lustig sein, auf eine etwas trockenere Art. Der gelernte Schriftsetzer ist zudem erklärter Fan des Kölner Karnevals - und überhaupt der betont lockeren Atmosphäre der Domstadt am Rhein. Im heimischen Moosach zog er vor fünfeinhalb Jahren als Faschingsprinz durch die Nächte: als "Seine Tollität, Prinz Alexander II. von Moosach".

Weniger Laune macht Reissl die Vorstellung, nach dem Urnengang 2014 auf einmal selbst der Juniorpartner in einer dann grün-roten Koalition zu sein. "Ich glaube nicht, dass das passieren wird", erklärt er - über eine Rolle als zweiter Bürgermeister unter einem grünen OB will er daher gar nicht erst nachdenken. Der aktuelle Höhenflug der Öko-Partei, davon ist der Sparkassenangestellte Reissl überzeugt, wird die Grünen nicht dauerhaft an SPD oder CSU vorbeiziehen lassen. "Die sollten regelmäßig der Kanzlerin danken", schließlich sei es Angela Merkels Atompolitik, die der Partei derzeit die Wähler in die Arme treibe. Reissl bedauert sehr, dass die Genossen nicht ebenfalls profitieren können- obwohl der Atomausstieg doch einst unter einem SPD-Kanzler beschlossen wurde.

Die Frage nach künftigen Koalitionen lässt Reissl offen. Nach den Kommunalwahlen 2014 gehe es um die "Schnittmenge" in den politischen Programmen, und auch um die Personen, die diese Positionen dann vertreten. "Oft weiß man ja gar nicht, ob die Haltung einer Person auch die der ganzen Partei ist." Diese Kritik richtet sich auch an die Grünen, die zu Reissls Entsetzen erst mit der SPD für die Bewerbung um die Olympischen Winterspiele kämpfte und einige Jahre später den Ausstieg aus "München 2018" forderte - gerade so, als habe nur die Stadtratsfraktion und nicht der gesamte Grünen-Kreisverband einen Koalitionsvertrag mit der SPD abgeschlossen. Unmöglich findet Reissl das. Auch wenn sich die Grünen-Fraktion anschließend über das Votum ihrer Basis hinwegsetzte.

Dennoch dürfte sich Reissl mit den Grünen leichter tun als mit der CSU, die den Imagewandel zur "liberalen Großstadtpartei" offenkundig noch immer nicht geschafft habe. Die "unrühmliche Geschichte am Gotzinger Platz", wo die Konservativen gegen den Bau einer Moschee wetterten, die Atompolitik auf Bundes- und die Integrationspolitik auf Landesebene - "das ist doch dieselbe CSU wie früher", befindet Reissl.

Der Fraktionschef verkörpert das, was man so gerne als Vollblutpolitiker bezeichnet. Bereits mit 16Jahren trat er in die SPD ein, vor dem Hintergrund der Bonner Debatten über die Ostverträge, die zu Hause am Abendbrottisch eine gewichtige Rolle spielten. Mit 20 begann die politische Ochsentour im Moosacher Bezirksausschuss, dem Reissl viele Jahre lang treu blieb - als Fraktionssprecher der SPD und später als Vorsitzender.

1996 wechselte er ins Rathaus am Marienplatz, zwölf Jahre später trat er die Nachfolge von Helmut Schmid als Fraktionssprecher an. Reissl ist es wichtig, neben seiner ehrenamtlichen Tätigkeit im Stadtrat auch einen "ganz normalen" Beruf auszuüben - in der IT-Abteilung der Stadtsparkasse, wo er übrigens keine Führungsrolle innehat. Ob er weiter in diesem Job arbeitet, hätten dann in letzter Konsequenz die Münchner zu entscheiden. Erst aber muss irgendjemand aus der SPD Reissl offiziell ins Gespräch bringen. Selbst tun will er es ja nicht.

© SZ vom 23.11.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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