Mitten in Königsdorf:Stress im Erdbeerfeld

Wunsch und Wirklichkeit naturnaher Erlebnisse

Von Antonia Steiger

Monatelang freuen sich im Frühling alle darauf, dass endlich die Erdbeeren reif sind. Besonders die Eltern kleiner Kinder blicken erregt der Zeit entgegen, wenn es wieder zusammen zum Erdbeerpflücken auf das Feld geht. Dass die Wirklichkeit den Erwartungen in der Regel nicht standhält und auch im vergangenen Jahr nicht standgehalten hat - egal, komplett vergessen.

Zu der romantisch angehauchten Begeisterung über die eigene Erntetätigkeit gesellt sich im Elternhirn die feste Überzeugung, man gebe seinen Kindern bei solchen Aktionen unschätzbares Wissen über Natur und Ernährung mit auf den weiteren Lebensweg. Gemeinsam betreten Mutter - hin und wieder auch mal ein Vater - und Kind den Acker. Das Kind bekommt noch den tausendfach zu hörenden Hinweis "Aber nur die ganz roten!", und schon geht es los. In Erwartung einer großen Schüssel voll mit Erdbeeren. Die Kinder haben kleine Körbchen oder Schüsseln dabei, bücken sich schnell nach der ersten roten Beere und freuen sich. Perfekt.

Doch schon wenige Minuten später wissen alle wieder, was den eigentlichen Charme von Supermärkten ausmacht: die Abwesenheit von Natur. Im Erdbeerfeld stechen die Disteln, die Hose ist zu kurz, die Blase drückt, da ist auch noch eine eklige Spinne, und überhaupt - Pflücken ist total langweilig. Schon von weitem ist ein Sechsjähriger zu hören: "Ich will auf den Spielplatz. Jetzt. Sofort." Er übertönt das dreijährige Mädchen in unmittelbarer Nähe, das sich offenbar im Moment auch keine Freunde macht. Die Mutter antwortet nur: "Du bist so eine blöde Kuh!" Missmutig schiebt man gemeinsam Richtung Kassenhäuschen ab.

Wohl dem, der seine Kinder unfallfrei durch das Pflückalter gebracht hat, der nun endlich alleine und in aller Ruhe Erdbeeren pflücken darf und dabei auch noch Muße hat, den angestrengten Bemühungen anderer Eltern zuzusehen und zuzuhören. Dass man die armen Kinder einst selbst in Flip-Flops zwischen Disteln und Löwenzahn durchgejagt hat, dass sie noch im strömenden Regen und bei heraufziehendem Gewitter die Früchte einsammeln mussten, weil unbedingt an diesem Tag noch Erdbeermarmelade gekocht werden musste, das ist Jahre später doch vergessen. Hoffentlich.

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