Mitten in Geretsried:Literarische Elfmeter

Überall gibt es zur Europameisterschaft Fußball-Orakel - jetzt hat auch Geretsried eines

Von thekla Krausseneck

Das Orakel zu Geretsried steht am Karl-Lederer-Platz 3, in einer gemütlichen Buchhandlung neben dem Rathaus. Die Inhaberin grüßt noch selbst vom Tresen aus, bestellte Bücher kommen über Nacht und wer ein Notizbuch braucht, findet in den Regalen garantiert sofort das, was er haben möchte. Wie nun herausgekommen ist, hat die Familie Ulbrich obendrein ein recht gutes Händchen für Fußball, und zwar einerseits auf eine höchst literarische, andererseits auf eine zutiefst prophetische Art und Weise.

Zu jedem Spiel stellt die Buchhandlung in einem sozialen Netzwerk zwei Bücher vor, deren Autoren aus den Ländern der in der EM gegeneinander antretenden Mannschaften stammen. Und manchmal liegt sie da gar nicht so daneben. Wäre etwa die Seitenzahl von Bedeutung, so hätte zumindest der Tipp vom 3. Juli ins Schwarze getroffen, denn da machte Marcel Proust mit "Die Suche nach der verlorenen Zeit Teil 1" (714 Seiten) für Frankreich das Rennen gegen den isländischen Nobelpreisträger Halldór Laxness und seinen 192-Seiten-Roman "Am Gletscher". Zum Nachdenken regt der Tipp vom 2. Juli an. Da trat Andrea Camilleri mit "Das Labyrinth der Spiegel" an, in dem sich Commissario Montalbano "in gefährliche Gefilde" wagt. Ob gefährlich oder nicht: Es war zumindest ein nervenaufreibendes, langes, aber auch ausgeglichenes Spiel. Dennoch mag so mancher Fan angesichts des überwundenen Italien-Fluchs schon ein klein wenig religiös werden. Ulbrich jedenfalls hatte für das deutsche Team eine Kurzgeschichten-Sammlung von Elke Heidenreich empfohlen, und die trug den Titel: "Alles kein Zufall".

So, so! Aber was ist mit Portugal und Wales? Der Spielausgang war am späten Mittwochnachmittag noch offen. Angetreten waren in der Buchhandlung Ulbrich Fernando Pessoa mit "Das Buch der Unruhe des Hilfsbuchhalters Bernardo Soares" für Portugal und Ken Follett mit "Kinder der Freiheit" für Wales. Inwiefern das Orakel auch hier wieder ein bisschen recht behalten hat, muss sich jeder selbst zusammenreimen.

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