Mitten in der BOB:Zugfahrt als Ratespiel

Über eine Irrfahrt auf Schienen

Kolumne von Klaus Schieder

Früher war die Reise mit einem öffentlichen Verkehrsmittel ein rechtes Abenteuer. Auf Straßen, die noch löchriger waren als Bundesautobahnen, rumpelte der Fahrgast in einer Kutsche dahin, sein Schädel wackelte wie die Köpfe der anderen Insassen hin und her, mal durcheinander, mal gegeneinander, gleich orthodoxen Kirchenglocken. Der Ausblick ins Land wurde niemals langweilig, denn alle zehn bis 20 Kilometer wechselte das Herrschaftsgebiet, nach Bayern folgte das Fürstentum Reuß ältere Linie, dann das Fürstentum Reuß jüngere Linie, später das kleine Großherzogtum Sachsen-Weimar-Eisenach, die Landgrafschaft Hessen-Homburg. Also durfte man alle naselang an Schlagbäumen seine Papiere rauskramen und bewundern, worin der Deutsche seit jeher am besten ist: Kontrolle und Belehrung.

Leider ist das Unterwegssein schon lange nicht mehr so aufregend. In Bahn und Bus kann sich der Reisende heute in aller Regel sicher sein, dass er nicht von vermummten Gesellen ausgeraubt und abseits der Verkehrswege ausgesetzt wird. Er muss auch nicht die Nächte in irgendeiner Poststation verbringen, eingeklemmt zwischen anderen Passagieren, die unter Darmproblemen leiden. Und er weiß, dass er mit DB, MVV oder BOB sicher ans Ziel kommt, irgendwann. Das ist fade. Vor wenigen Jahrzehnten noch schliefen die Fahrgäste deshalb ein, inzwischen haben sie ihr Smartphone, das sie vor der Eintönigkeit der Landschaften wie auch der Verspätungen bewahrt.

Ein rühmliche Ausnahme bildet die Bayerische Oberlandbahn (BOB). Der Abwechslung halber lädt sie am Münchner Hauptbahnhof gerne zu dem Ratespiel "Suche Deinen Waggon" ein. Das ist vor allem für Anfänger und Wenigfahrer interessant, die den Zug mit drei verschiedenen Endstationen nutzen. Damit sie es nicht zu leicht haben und sich einfach am Wagenstandsanzeiger der Schautafel am Bahnsteig orientieren, bleiben die elektronischen Zugzielanzeiger über den Türen und in den Waggons öfter mal dunkel. Das erhöht den Adrenalinspiegel auf der Fahrt bis Holzkirchen, weil man sich nicht wirklich sicher sein kann, ob man nun nach Lenggries fährt - oder nach Bayrischzell? Vielleicht auch Tegernsee?

Wohin die Reise im jeweiligen Waggon ging, erfuhren die Fahrgäste neulich zu guter letzt per Durchsage, als die BOB den Holzkirchner Bahnhof gerade verlassen hatte. Nach dem Motto: Das wäre Ihr Umstieg gewesen ...

Bevor nun jemand gleich was von deutscher Servicewüste brummelt, sei hinzugefügt, dass auf dieser Fahrt darob niemand ins Schwitzen kam. Das Transpirieren hatte schließlich schon in München begonnen, weil die Klimaanlage mal wieder nicht funktionierte. Immerhin durfte man noch einen BOB-Mitarbeiter bestaunen, der als Wegelager ... , als Kontrolleur durch den Zug patrouillierte. Er erkannte eine 24-Euro-Fahrkarte sofort als falsch gelöst, belehrte den Inhaber über seine Dummheit und sagte, es gebe nun eine billige und eine teuere Variante. Die preiswerte? "Sie können den Zug an der nächsten Station verlassen und nachlösen." Die kostspielige? "Sie zahlen jetzt 75 Euro."

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