Mitten in Bad Tölz:Tolerante Schadenfreude

Lesezeit: 1 min

Tölz ist eine tolerante Stadt, Gott sei's gedankt. Niemand bricht hier in böses Gelächter aus, es sei denn..

Von Klaus Schieder

Vor der Leonhardifahrt hatten wir immer ein wenig Fracksausen. Dieser Ausdruck passt jetzt nicht recht ins Bild, es sei denn, man sieht den versammelten Stadtrat in seinem Tafelwagen vorüberrumpeln. Aber so etwas wie Lederhosensausen gibt es schließlich nicht. In den letzten Jahren herrschte stets ein Wetter, dass Gott erbarm, dagegen half alles Beten der Schalkfrauen nichts. Kalt, noch saukälter, mal Regen, mal Schnee. Wir standen am Straßenrand, froren vor uns hin und hatten keine Chance, dass ein Gespannführer droben auf dem Kalvarienberg uns für einen entfernten Bekannten hielt und ein Stamperl Schnaps zum Aufwärmen herabreichte. Noch immer haben wir es ja nicht geschafft, uns eine Tracht zuzulegen, um unterm tief sitzenden Gamsbarthut verwechselt zu werden.

Aber heuer ist alles anders. Die Novembersonne spendiert Augustwärme, als notorische Trachtenverweigerer sind wir auch nicht mehr die einzigen Fremdlinge. Hinter den Zuschauerreihen in der Marktstraße schlendern Flüchtlinge in kleinen Gruppen vorbei, die mit so viel Hochprozentigkeit bairischen Brauchtums vor Augen recht ratlos dreinschauen. Blaskapellen, Truhenwagen, Goaßl-schnalzer - ob solcher Begegnungen der merkwürdigen Art werden sich manche von ihnen still fragen, wo sie denn da hineingeraten sind. Am Ende der Wallfahrt sitzen sechs junge Männer auf der Tribüne für Ehrengäste in der Marktstraße beisammen und reden die ganze Zeit kein Wort miteinander, als habe es ihnen die Sprache verschlagen. Vielleicht befürchten sie insgeheim, sich irgendwann einmal in diese komische Lederhose zwängen zu müssen, weil das zu Seehofers Integrationsfibel gehört.

Aber in Tölz müssen sie davor kein Jeanssausen haben. Das ist eine tolerante Stadt, Gott sei's gedankt. Sie hat schon amerikanische Soldaten, betuchte Senioren aus Buxtehude und eine Kurdirektorin aus Dresden in sich aufgesogen. Niemand bricht hier über andere Leute in böses Gelächter aus, nicht über befrackte Stadträte, nicht über Flüchtlinge, nicht über trachtenabstinente Journalisten. Es sei denn, so einer rutscht auf seinem Weg zurück ins Büro auf dem matschigen Pferdemist aus.

© SZ vom 07.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: