Mitten in Bad Tölz:Germanisch damisch

Die italienischen Eiscafés in der Marktstraße sind offenbar ihrer Zeit voraus und haben schon jetzt ihre Freiflächen bestuhlt. Oder sind sie einfach einem historischen Klischee erlegen?

Kolumne von Klaus Schieder

Über die Germanen schrieb der römische Historiker Tacitus neben manch anderen Bosheiten, dass sie keinerlei Neigung zu Strapazen und Arbeit besäßen, indes eine große Scheu vor Durst und Hitze zeigten. Übersetzt heißt dies: Die Herrschaften jenseits der Alpen mit ihren rötlichen Haaren und ihren wilden, blauen Augen sind stinkfaul, schlecken Schnee und haben es gerne saukalt. Was Tacitus vor gut 1900 Jahren zu Papier brachte, scheint sich in manchem Italiener im Unterbewusstsein gehalten zu haben, sobald er an die Barbaren da oben denkt. Wie anders wäre es zu erklären, dass die Betreiber der zwei italienischen Eiscafés schon jetzt die Tölzer Marktstraße bestuhlt haben? Vielleicht glauben sie ja, dass die Leute hier auch im Februar bei gefühlten minus 20 Grad Außentemperatur vorzugsweise im Freien hocken und Eis schlecken. Schließlich sind die sowieso plemplem, die Tedesci.

Aber ein bisschen Zivilisation haben selbst die Tölzer in den vergangenen zwei Jahrtausenden abbekommen. Deshalb essen sie keinen Döner bei 40 Grad im Sommer. Ebenso wenig mögen sie Spaghettieis mit Waldmeistersoße in antarktischer Kaltluft. Sie bestellen das merkwürdigerweise lieber im und nicht vor dem Café. Die vielen Stühle in der Marktstraße bleiben deshalb leer, was den Vorteil hat, dass der rege Kleintransporterverkehr vormittags nicht einfach so durch die Fußgängerzone brettern kann. Am Ende krachen sie beim Herumkurven noch zwischen Joghurt-Maracuja und Chili-Schokolade in die Eisdiele und stören die Kellner, die gerade vom letzten Kampf im Colloseum ... , scusi, vom Fußballspiel im Mailänder San Siro schwärmen.

Dem Vernehmen nach hat eine der Eisdielen ihre Stühle und Tische allerdings nicht in Erwartung von Barbaren nach draußen gestellt. Das Mobiliar ist rein aus Plastik, weshalb es laut Stadt nicht in die Marktstraße gehört. Vielleicht gebricht es einfach an einem Lagerraum. Übrigens sind Stühle und Tische einstweilen aneinander gekettet. Man kann ja nie wissen. Bei diesen arbeitsscheuen Rothaarigen mit den wilden Augen.

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