Meisterkonzert:Eine Chance den Tuttisten

Valeriy Sokolov Violone; Valeriy Sokolov Violine

Hervorragende junge Musiker spielen bei den "Menuhin Academy Soloists" Seite an Seite. Im Vordergrund steht die Ensembleleistung. Valeriy Sokolov sitzt im Iffeldorfer Gemeindesaal bescheiden am zweiten Pult.

(Foto: Manfred Neubauer)

Valeriy Sokolov und das Ensemble "Menuhin Academy Soloists" überraschen in Iffeldorf

Von Sabine Näher, Iffeldorf

Andrea Fessmann tritt wie gewöhnlich als erste aufs Podium, um das Publikum im gut gefüllten Gemeindezentrum Iffeldorf mit ihrer mitreißenden Art auf das Konzert einzustimmen. Doch heute hat sie eine traurige Nachricht: Sie bittet um einen Moment des Innehaltens für Reinhard Szyszka, der ihr nicht nur als SZ-Kritiker, sondern auch wegen seiner Konzerteinführungen verbunden war und darüber hinaus bei ihr im Chor sang. Sie erzählt von ihrer letzten Begegnung und zitiert aus seinem letzten Einführungsvortrag. Eine schöne, angemessene Würdigung.

Für die Sextettfassung von Peter Tschaikowskys "Souvenir de Florence" betreten darauf zwei Geigen, zwei Bratschen und zwei Celli die Bühne. Der als Solist angekündigte Valeriy Sokolov sitzt nicht etwa am ersten Pult ganz außen, sondern bescheiden auf dem Platz daneben. Damit wird schon klar: Hier geht es vor allem um die Ensembleleistung - und da haben die Menuhin Academy Soloists einiges zu bieten! Es handelt sich um eine kammerorchestrale Formation, die aus dem Menuhin Academy Orchestra hervor gegangen ist, also um hervorragende junge Musiker.

So entwickelt das Sextett bei Tschaikowsky eine erstaunlich orchestrale Wirkung mit schwelgerisch opulenten Klängen im 1. Satz, verbreitet im 2. geheimnisvolle Spannung im Cello- und Geigensolo, die mit einem inbrünstigen, fast andächtigen Tutti-Aufschwung endet, lässt mit von der Tiefe dominierten Klängen die schwermütige russische Seele im 3. Satz sprechen und findet stürmisch vorwärts drängend ein furioses Finale, das mit lautem Jubel bedacht wird.

Dann vergrößert sich das Ensemble. Sechs Geigen, drei Bratschen, drei Celli und ein Kontrabass gestalten Vladimir Genins "Pietá - Kammerkonzert für Violine und Streicher". Der 1958 geborene Komponist agiert auch als Dirigent. Und nun tritt Valeriy Sokolov, der eine Stradivari von 1703 spielt, als Solist vor seinen Kollegen.

Das Largo zeichnet eine verhaltene, melancholische Stimmung, über der die Sologeige einen hellen Gesang aufsteigen lässt. Heftige schmerzliche Ausbrüche finden wieder zum bedrückten, stillen Ausdruck zurück. Der 2. Satz ist "Energico" überschrieben. Aber diese Energie speist sich nicht aus Freude, sondern kommt wie eine leidenschaftliche Klage daher. Im abschließenden Moderato steht der Solist ganz im Mittelpunkt, von stockenden, wie unschlüssigen Tonfolgen des Ensembles ummalt. Eine Suche nach dem Weg, nach der Conclusio? Das Werk endet mit einem offenen Schluss; ein Fragezeichen schwebt quasi im Raum.

Nach der Pause folgt eines der bekanntesten und beliebtesten Werke überhaupt: Antonio Vivaldis "Die vier Jahreszeiten". Zu den Streichern tritt jetzt noch ein Cembalist hinzu. Klangprächtig wird nun aufgespielt, sehr farbig gestaltet. Im "Frühling" jauchzen die hohen Streicher laut auf, frohlocken und jubeln. Die Sologeige agiert ebenso virtuos wie subtil. Doch auch das erste Cello hat immer wieder beglückende Solopassagen. Zum "Sommer" kommt die Überraschung: Sokolov tritt ins Tutti zurück und überlässt einer jungen, charismatischen Geigerin den Solopart. Diana Pasko darf nun glänzen, indem sie ein fulminantes Sommergewitter zeichnet, hochvirtuos und gleichwohl bestens mit dem Ensemble vernetzt.

Zum ausgelassenen Herbsttreiben werden die Plätze wieder getauscht. Das Cello steuert dunkel leuchtende Farben bei, Sokolov ein sehr inniges Geigensolo. Und nochmals tritt er ins Glied zurück, um diesmal einem jungen Mann, Vasyl Zatsikha, Platz zu machen, der nun die eisige Erstarrung des Winters und die zarte Pracht des Schneetreibens malen darf. Großer Beifall - und eine geistesgegenwärtige Andrea Fessmann, die aus dem Blumenstrauß für Sokolov zwei Blümchen für die Mit-Solisten heraus zerrt.

Als Zugabe hat sich das Ensemble etwas Spezielles ausgedacht: Vivaldis Konzert für vier Violinen und Orchester h-moll. Das bietet nun weiteren Tuttisten die Chance zum Solo - und gerät für den einen oder anderen Besucher gar zum Höhepunkt des Abends mit seiner überbordenden Klangpracht, ungebremsten Vitalität und ansteckenden Spielfreude.

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