Mein Europa:Lieber Distanz als zu viel Nähe

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Magdalena Rajcsanyi findet die Ungarn manchmal zu leger.

Von Ingrid Hügenell

28 Mitgliedsstaaten hat die Europäische Union, als vorerst letztes Land kam 2013 Kroatien dazu. Vom 22. bis 25. Mai dürfen gut 507 Millionen Menschen die 751 Abgeordneten dss Europa-Parlaments neu wählen. Die Grenzen sind offen, wer will, kann sich in einem anderen Land der EU Wohnung und Arbeit suchen. Menschen aus den meisten Mitgliedsstaaten leben auch im Landkreis. Die SZ stellt einige von ihnen vor.

Als Magdalena Rajcsanyi mit 18 Jahren aus Budapest nach Deutschland kam, betrat sie nicht nur ein anderes Land, sondern eine andere Welt. Damals, vor 42 Jahren, war der Eiserne Vorhang noch dicht. Zwar hatten die junge Magdalena und ihr nicht viel älterer Mann wenig Geld, aber ein Auto konnten sie sich doch leisten in der Bundesrepublik. Und sie machten die Erfahrung, dass man mit Fleiß und guter Leistung etwas erreichen kann. Magdalena Rajcsanyi lernte Chemisch-Technische Assistentin, ihr Mann wurde Elektro-Ingenieur. Sie bekamen drei Kinder, sind inzwischen geschieden. Magdalena Rajcsanyi lebt in einem schönen, eigenen Haus in Geretsried. Die Söhne und die Tochter sprechen Ungarisch und seien inzwischen auch stolz auf ihre Herkunft, freut sich die Mutter.

In ihrer Arbeitsauffassung sei sie ganz deutsch geworden, sagt Rajcsanyi. Während der Arbeitszeit zum Friseur zu gehen, wie sie das in Ungarn erlebe - für sie undenkbar. Dass man sich im Beruf nicht gleich und nicht mit jedem duzt, dass man Privates eher für sich behält, findet sie normal und gut: "Der gewisse Abstand ist manchmal besser. Die legere Art ist nicht immer angebracht."

Generell seien die Ungarn herzlicher - "sie umarmen alle, das mag ich gar nicht mehr". Manche erfüllten tatsächlich die gängigen Klischees, sind also trinkfest und essen gerne sehr scharf. Und sie bewegen sich zu wenig, essen zu ungesund, findet die sehr gesundheitsbewusste Rajcsanyi, die dem Alpenverein und dem Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Club ADFC angehört, selber Touren führt und schon mal nach der Arbeit nach Waakirchen radelt, um noch ein bisschen Bewegung zu haben. Das stoße bei Freunden und Verwandten in Ungarn regelmäßig auf Unverständnis, sagt sie. Dies betreffe aber nur ihre Generation, die jüngeren bewegten sich mehr.

Ansonsten fallen ihr vor allem wirtschaftliche Unterschiede auf zwischen Ungarn und Deutschland. Seit ihr Land zur EU gehört, können zwar auch die Ungarn ohne Visum andere Länder besuchen, "aber die einfachen Leute haben gar nicht das Geld, um richtig zu reisen." Allerdings: "Sehr viele Ungarn arbeiten hier, die profitieren also von der Freiheit." Was ihr Sorgen macht, ist die politische Lage in ihrem Heimatland. "Die Leute sind sehr nationalistisch, das ist eine ganz gefährliche Situation." Sie denkt an die Zeit, als Jugoslawien auseinander fiel, und auch an die Entwicklung in der Ukraine. Und nun hätten auch die Ungarn, die in Serbien, Rumänien und weiteren Staaten leben, die Möglichkeit, die ungarische Staatsbürgerschaft zu bekommen und in Ungarn zu wählen.

Die europäische Einigung sieht sie insgesamt sehr positiv, macht aber Einschränkungen: "Manchmal habe ich das Gefühl, dass die Leute noch nicht überall reif sind dafür. Das globale Denken ist vielleicht noch nicht überall angekommen." Auf jeden Fall aber sei es gut, wenn junge Leute, etwa durch Austauschprogramme, wie die EU sie anbietet, Erfahrungen im Ausland sammeln könnten.

Ob sie zur Europawahl geht, weiß sie noch nicht. Vor fünf Jahren hat sie nicht gewählt, obwohl sie sonst ihr Wahlrecht wahrnimmt. Rajcsanyi hat seit vielen Jahren die deutsche Staatsangehörigkeit. Aber über Europa fühlt sie sich nicht gut genug informiert. "Das ist zu weit weg", sagt sie, "nicht so nah wie zum Beispiel der Bundestag. Man müsste in den Medien mehr hervorheben, was da passiert." Man wähle eben, was einen betreffe.

© SZ vom 14.05.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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