Ungewöhnliches Hobby:Schlösser aus Streichhölzern

Ungewöhnliches Hobby: Große Architektur im Miniaturformat: Werner Stadler baute auch das französische Loire-Schloss Chambord aus Streichhölzern nach.

Große Architektur im Miniaturformat: Werner Stadler baute auch das französische Loire-Schloss Chambord aus Streichhölzern nach.

(Foto: Harry Wolfsbauer)

Werner Stadler fertigt große Bauten wie den venezianischen Palazzo Ca' d'Oro im Kleinen nach. Pro Objekt braucht er Tausende Teilchen - und Hunderte Stunden.

Von Benjamin Engel

Als Werner Stadler vor dem venezianischen Palazzo Ca' d'Oro am Canal Grande steht, fühlt er so etwas wie Handwerkerstolz. Er meint jedes Detail des Hauses aus dem 15. Jahrhundert ganz genau zu kennen - von den kunstvollen Säulen und Rundbögen bis zum filigranen Maßwerk. "Ich weiß, das hört sich jetzt komisch an. Aber ich habe gedacht, ich bin der Baumeister", sagt der 65-jährige Ambacher.

Ein solcher Satz mag kaum zu dem zurückhaltenden, ruhigen Mann passen und hat doch seine Berechtigung: Stadler ist ein großer Architekt und Handwerker - aber für den kleinen Maßstab. 300 bis 400 Stunden dauerte es, bis er den Palast Ca' d'Oro originalgetreu im Format von 40 zu 30 Zentimetern nachgebildet hatte. Sein einziger Baustoff: Streichhölzer und die flachen Hölzchen aus den Streichholzbriefchen für die Dächer seiner Häuser.

Wie der Rentner auf das ungewöhnliche Material - er kauft es in großen Stückzahlen in einem örtlichen Supermarkt - kam? "Weil ich wenig Platz habe", sagt er. Und er kommt mit einfachstem Handwerkzeug aus. Er benutzt ein Messer, um die Köpfe der Streichhölzer abzutrennen, einen zentimetergroßen Fensterschaber zum passgenauen Zerkleinern derselben, Winkel, Bleistift, Holzleim und Schneidebrett. "Das ist mein ganzes Arbeitszimmer."

Dennoch steckt in ihm viel Kreativität, Begeisterungsfähigkeit und Fantasie. So hat er auch sein Hobby vor rund 20 Jahren entdeckt. Der gebürtige Niederbayer erinnert sich an eine Kunstausstellung in seiner Volksschule in Hebertsfelden. "Da gab es eine Kirche aus Zündhölzern. Die habe ich nie ganz vergessen können." Initialzündung für den Nachbau von Gebäuden vor allem aus der griechisch-römischen Antike und der italienischen Renaissance.

Beim Stichwort "Italien" beginnt er lebhaft zu erzählen. "Italien ist das Land meiner Sehnsucht, die Geschichte, die Luft ist ganz anders." Vor allem von der Renaissance zeigt er sich begeistert. "Das war das Zeitalter der Schönheit." Für ihn blühte mit dieser Epoche nach "dunklen Zeiten" die Kunst auf. Der Humanismus entwickelte sich. Florenz wurde zum Wegbereiter der Moderne. Zukunftsweisende Künstler wie Michelangelo und Universalgelehrte wie Leonardo da Vinci erlangten Weltruhm. Noch heute liest Stadler gerne Biografien berühmter Künstler, auch von moderneren wie van Gogh oder Gauguin.

Ungewöhnliches Hobby: Werner Stadtler aus Ambach investiert bis zu einem Jahr für eines seiner Werke.

Werner Stadtler aus Ambach investiert bis zu einem Jahr für eines seiner Werke.

(Foto: Harry Wolfsbauer)

Hätte er seinen Beruf frei wählen können, wäre er auf die Kunstakademie gegangen, Maler oder Architekt geworden. Doch dafür fehlte es in seiner Kindheit und Jugend an Zeit und Geld. Er wuchs auf dem elterlichen Bauernhof auf. Nach der Schule arbeitete er selbstverständlich mit. Und als es darum ging, was aus ihm werden sollte, entschied sein Vater, dass er Konditor lernen sollte.

"Da hast du immer etwas zu essen, hat er gesagt", erinnert sich Stadler. Nach Abschluss der Lehre ging er 1969 ins Café Hölzl nach München, arbeitete dort ein paar Jahre und übernahm schließlich für Jahrzehnte ein Lebensmittelgeschäft in der Landeshauptstadt.

Heute lebt Stadler in Ambach alleine, er bezeichnet sich selbst als Einzelgänger. Und trotz mancher unerfüllter Lebensträume wirkt er zufrieden. Er arbeitet noch im kommunalen Wertstoffhof und als Hausmeister im Kindergarten in Degerndorf - und freut sich an der Schönheit von Natur und Kunst.

Anregungen für seine Modelle aus Streichhölzern bieten Stadler Fotografien, Ansichten und Pläne aus Architekturbänden und Zeitschriften. Allein daraus berechnet er den originalgetreuen Maßstab. "Das Entscheidende ist, dass das Gebäude im Kopf schon fertig ist, bevor man mit dem Bauen beginnt."

Ungewöhnliches Hobby: Auch das Innenleben mit Kruzifix der Kirche Santa Maria da Batalha ist aus Streichhölzern.

Auch das Innenleben mit Kruzifix der Kirche Santa Maria da Batalha ist aus Streichhölzern.

(Foto: Harry Wolfsbauer)

So entstanden als erstes vor 20 Jahren die Propyläen vom Münchner Königsplatz. Nachbauten der Pazzi-Kapelle in Florenz, des Palazzo Vendramin in Venedig oder der Kirche Maria de Batalha bei Lissabon in Portugal folgten. Herausfordernd war es, das Spitzbogenportal exakt nachzubilden. "Das gibt dem Gebäude erst die richtige Tiefe."

Für jeden Modellbau braucht Stadler mindestens 5000 Streichhölzer, für das aus drei Teilen zusammengesetzte Loire-Schloss Chambord vielfach mehr. Bis zu einem Jahr ist er mit einem Objekt beschäftigt. So sind um die 20 Bauten entstanden. Derzeit arbeitet Stadler am Nürnberger Albrecht-Dürer-Haus: "Das wird mein erstes Modell mit Fachwerk."

Vor zwei Jahren hat er zwölf seiner Werke an das Zündholzmuseum in Grafenwiesen bei Bad Kötzting gespendet. "Da sind sie gut aufgehoben", sagt er. Die Museumsbetreiber pflegten und bewahrten die Modelle sorgfältig: "Dafür danke ich." Ein Bewahrer und Sammler ist Stadler selbst.

An den Wochenenden ist er auf den Flohmärkten der Region unterwegs, sucht Bilder und historische Handwerksgeräte. Von vielen seiner Schätze ist er in seinem Zuhause umgeben. Uhren hängen an den Wänden und auch ein Bild des Armen Poeten von Carl Spitzweg. "Ich empfinde mich wie der arme Poet", sagt Stadler.

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