Asyl:Nach der Flucht ein neues Leben

Asyl: Hassan Ali Djan (links) las im Saftladen Geretsried aus seinem Buch über seine Flucht aus Afghanistan. Pfarrer Georg Bücheler moderierte

Hassan Ali Djan (links) las im Saftladen Geretsried aus seinem Buch über seine Flucht aus Afghanistan. Pfarrer Georg Bücheler moderierte

(Foto: Harry Wolfsbauer)

Hassan Ali Djan berichtet in Geretsried von seinen Erfahrungen in Afghanistan und Deutschland.

Von Thekla Krausseneck

Hassan Ali Djan war noch ein Kind, als sein Vater auf dem Sterbebett lag. Die Krankheit wäre leicht zu behandeln gewesen, doch der Vater wollte kein Geld für den Arzt ausgeben - sie bräuchten es für den kommenden Winter, sagte er. Als niemand ihm mehr helfen konnte, rief er seinen ältesten Sohn zu sich. Von nun an, sagte er, sei Hassan für die Familie verantwortlich, für die Mutter und die sechs jüngeren Geschwister. Hassan Ali Djan, damals elf Jahre alt, wusste, was das bedeutete. Er hatte die Familie zu ernähren.

Als Ali Djan im Jugendzentrum Saftladen auf dem Podium sitzt und seinen rund 20 Besuchern von dieser Geschichte berichtet, wirkt er wie von einem anderen Stern. Wie kann man einem Elfjährigen die Verantwortung für sieben Familienmitglieder übertragen? Ob es da nicht wenigstens eine Altersgrenze nach unten gebe, fragt eine Besucherin. Nein, sagt Ali Djan: Sobald ein Junge laufen könne und seine Rechte kenne, müsse er auch Verantwortung übernehmen. Die Zuständigkeit sei in Afghanistan klar verteilt: Der Onkel etwa habe ihm gedroht, wenn er seine Mutter nicht ernähren könne, müsse er sie mitnehmen. Denn für die Mutter fühlte sich der Onkel verantwortlich, nicht aber für ihre sieben Kinder. Ali Djan antwortete: "Ich kann meine Mutter ernähren, denn sie ist mein Ein und Alles." Also machte es der Elfjährige wie viele andere Jungen und ging nach Iran, um zu arbeiten. Nach vier Jahren auf Baustellen - zuletzt jobbte er als Fliesenleger in einem Luxushotel - sehnte er sich nach einem besseren Leben. In Europa sollte es dieses Leben geben. Ali Djan floh nach Griechenland, kletterte dort in den Ersatzreifen eines Lastwagens, rührte sich zwei Tage lang nicht. Als der Lastwagen sein Ziel erreichte, war Ali Djan, schwarz von Abgasen und Öl, in Deutschland angekommen.

Diese Geschichte hat er zehn Jahre später von Veronica Frenzel aufschreiben lassen, erschienen ist sie 2015 unter dem Titel "Afghanistan. München. Ich. Meine Flucht in ein besseres Leben" im Herder Verlag. Seither tritt der 27-Jährige bei Lesungen auf, zuletzt im Saftladen. Er liest eine halbe Stunde, schildert, wie er nach Iran aufgebrochen ist, wie ihm die Idee zur Flucht nach Europa kam, warum er erst auf keinen Fall nach Deutschland wollte und wie das Land dann doch zu seiner zweiten Heimat wurde. Seine Zuhörer erfahren auch, wie er einmal seine Familie in seinem Heimatdorf Almitu besuchte und sich vor den Taliban fürchten musste - und wie ihn die in Deutschland erlangte Bildung zu einem anderen Menschen machte. Ali Djan, der 2005 als Analphabet nach Deutschland kam, hat heute die Mittlere Reife, eine abgeschlossene Lehre, eine Wohnung und eine unbefristete Aufenthaltsgenehmigung. Nach seiner Erfahrung mit dem hohen Gut der Bildung bestand er darauf, dass auch seine sechs Geschwister die Schule besuchten. Er schickte mehr Geld als sonst nach Hause, die Familie zog nach Kabul. So schafften es seine Geschwister bis zur Hochschulreife.

Mit seiner Geschichte wolle er kein Mitleid erregen und auch nicht politisieren, sondern Verständnis wecken, sagt Ali Djan. Und er wolle anderen Menschen, die in Deutschland Zuflucht suchten, vermitteln: "Man kann mir nur ein Glas Wasser hinstellen. Trinken muss ich selber." Beide Ziele kann Ali Djan im Saftladen erreichen: Unter den Zuhörern sind auch ein paar syrische, afghanische und afrikanische Flüchtlinge.

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