Lenggries:Flüchtlinge suchen dringend eine Wohnung

In der Brauneck-Gemeinde leben 152 Asylbewerber, meist in Unterkünften. 60 anerkannte Flüchtlinge müssten eigentlich ausziehen.

Von Petra Schneider, Lenggries

Als im August 2014 die ersten Flüchtlinge nach Lenggries kamen, war die Ratlosigkeit groß. Wohin mit der afghanischen Mutter und ihren fünf Kindern, wer sollte sich kümmern? Bürgermeister Werner Weindl (CSU) erinnert sich gut an die Sache mit den Regenschirmen: Ein freiwilliger Helfer sei ins Rathaus gekommen, um für die afghanische Familie Regenschirme zu organisieren. "Und eine Woche später ist ein anderer mit der gleichen Bitte gekommen."

Dass es Strukturen braucht, eine Organisation des wachsenden Helferkreises, war schnell klar. Im Januar hat die Gemeinde die Asylkoordinatorin Annette Ehrhart in Teilzeit eingestellt, die den rund 30 Gästen am Mittwoch auf Einladung von CSU-Ortsvorsitzender Christine Rinner von ihrer Arbeit berichtete. Die 49-jährige Politikwissenschaftlerin koordiniert einen Helferkreis, dem inzwischen 100 Ehrenamtliche, "aus dem ganzen Spektrum der Gesellschaft" angehörten: Akademiker engagierten sich genauso wie Hartz IV-Empfänger, sagte Ehrhart.

Sie kümmern sich um derzeit 152 Asylbewerber aus Syrien, Eritrea, Afghanistan, Nigeria, Irak und Senegal. Die Menschen leben in der Containeranlage an der Geiersteinstraße; 70 Plätze stehen dort zur Verfügung, nicht alle sind belegt. 25 sind in der ehemaligen Kaserne untergebracht, der Rest in Privatwohnungen. Das Genehmigungsverfahren für eine mögliche Unterkunft mit 81 Plätzen an der Flussmeisterstelle wird Weindl zufolge auf jeden Fall abgeschlossen, damit dort schnell gebaut werden kann, wenn die Flüchtlingszahlen wieder steigen sollten. Im Moment haben die Helferkreise eine Atempause, weil im Landkreis keine neuen Flüchtlinge ankommen. Die Menschen werden nicht mehr, die Probleme deswegen aber auch nicht weniger.

Was allerorten fehlt, sind bezahlbare Wohnungen für anerkannte Flüchtlinge, die aus den Unterkünften ausziehen müssen. Im Moment zahle der Freistaat noch für diese sogenannten Fehlbeleger, sagte Weindl. "Sonst gäbe es eine kleine Revolution in den Kommunen." Je mehr Flüchtlinge mit guter Bleibeperspektive, wie Syrer oder Eritreer, es gebe, desto mehr Wohnungen würden gebraucht. Sonst werden aus Fehlbelegern Obdachlose, für welche die Kommunen zuständig sind. In Lenggries leben zurzeit 60 anerkannte Flüchtlinge, die eine Wohnung brauchen. Ausgehend von einer durchschnittlichen Belegung von 2,3 Menschen pro Wohnung, bedeute dies für Lenggries einen Bedarf von 26 Wohnungen für anerkannte Flüchtlinge. "Das ist schon viel", sagte Weindl. Normalerweise würden jährlich in der Gemeinde 30 bis 50 neue Wohneinheiten gebaut. Zudem sei ja nicht sicher, ob die Menschen dann auch tatsächlich bleiben, und nicht dahin umziehen, wo es Arbeit gibt oder Verwandte leben. Bürgermeister Weindl findet, dass man über eine "Quote für Fehlbeleger", im Sinne einer freiwilligen Selbstverpflichtung nachdenken sollte. "Damit das im Landkreis einigermaßen gerecht verteilt wird", sagt er.

Mit der Betreuung in Lenggries funktioniert es jedenfalls bestens, wie der Bericht der Asylkoordinatorin zeigte. Der Helferkreis ist in Arbeitsgruppen aufgeteilt. Eine ist die AG Paten mit 36 Helfern, die als Vertrauenspersonen, Ansprechpartner und "Lotsen" fungieren. Das Patenamt habe sich inzwischen geändert, sagte Ehrhart. Denn anfangs habe man Fehler gemacht: "Wir haben den Leuten nicht gezeigt, wie sie gehen können, sondern wir haben sie getragen." Das Motto laute nun "Hilfe zur Selbsthilfe". Die Flüchtlinge müssen lernen - und die Helfer. Über Asylrecht zum Beispiel, wie man Sprache und Werte vermittelt und wie man mit traumatisierten Menschen umgeht. "Wir haben ganz viele, die nachts nicht schlafen können", sagte Ehrhart. Sie schliefen tagsüber, weil sie sich dann sicherer fühlten. Mit der Konsequenz, dass sie nicht zum Deutschunterricht kämen, die die AG Sprache organisiert. Regeln seien wichtig. "Wir wollen den Leuten beibringen, dass Pünktlichkeit und eine ordentliche Heftführung wichtig sind".

Bestes Beispiel sei ein Arzt aus Damaskus: Innerhalb von zehn Wochen habe dieser so gut Deutsch gelernt, dass er zurzeit einen halbjährigen Weiterbildungskurs in Nürnberg belegt. "Und dann bei uns als Arzt arbeiten kann." Auch von der AG Projekte kann Ehrhart viel Positives berichten: Vom Frauenfrühstück zum Beispiel, bei dem inzwischen die muslimischen Teilnehmerinnen ihre Kopftücher ablegten. "Das ist ein echter Vertrauensbeweis." Die "Kegelabende für Herren" seien eine "unheimliche Gaudi". Für den an die AG Kleiderkammer angeschlossenen Radlkeller habe man eine gute Lösung gefunden: Die Flüchtlinge holen sich einen Leihschein im Rathaus, hinterlegen 20 Euro und werden eingewiesen, wie die Räder gepflegt und abgeschlossen werden müssen. Ein Schloss für ein Rad - das sei vielen ganz neu.

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