Lenggries:Geselligkeit und geschenkte Zeit

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Das Seniorenfrühstück im Lenggrieser Pfarrheim hat sich zum Erfolgsmodell entwickelt

Von Petra Schneider, Lenggries

Grau hängen die Wolken über dem Brauneck, es nieselt und die Straßen sind leer. Im Pfarrheim Sankt Jakob sind fast alle Kleiderständer belegt, Stimmengewirr ist schon vom Eingang aus zu hören. Immer am zweiten und letzten Donnerstag im Monat wird im Pfarrsaal ein Buffet für das Seniorenfrühstück aufgebaut: Semmeln, Brezen, Wurst- und Käseplatten, bunt gefärbte Ostereier, Trauben und Tomaten. Auf den Tischen stehen Döschen mit Süßstoff, die Teller sind mit Schoko-Osterhasen dekoriert. Anneliese Kiefersauer kommt fast immer zum Seniorenfrühstück. Seit einem Schlaganfall, den sie vor 17 Jahren erlitten hat, kann die 79-Jährige nicht mehr gut gehen. Ihre Zeit verbringt sie mit Lesen und Kreuzworträtseln. "Ich kann ja nichts anderes mehr machen". Ihr Sohn wohnt im Haus, wenn zur Arbeit geht, ist sie allein. Zum Seniorenfrühstück komme sie gern, sagt Kiefersauer. Wegen der Unterhaltung, und weil man einfach mal raus komme.

Der Saal im Pfarrheim der ehemaligen Brauerei ist mit hellem Holzboden ausgelegt, die großen Fenster und die Terrasse öffnen den Blick auf die Berge. An den Tischen bedienen Jona, Anna und Lucia die Gäste. Die drei Schülerinnen der benachbarten Mittelschule bilden das Team der Schülerübungsfirma, das bis zum Schuljahresende für die Bewirtung der Gäste beim Seniorenfrühstück zuständig ist. "Mir gefällt das hier gut", sagt Anna und schenkt Frau Kiefersauer Tee nach. Dass sich junge Leute zur Verfügung stellen, wird am Tisch gelobt. Man sei es ja nicht gewöhnt, dass man bedient werde.

Eine willkommene Abwechslung stellte das Seniorenfrühstück im Lenggrieser Pfarrheim St. Jakob dar. Anna (r.) und Lucia schenken den Gästen Kaffee ein. (Foto: Manfred Neubauer)

Auch Maria Heufelder nicht, die sich um ihre Familie gekümmert und ihr Leben lang als Bauputzerin gearbeitet hat. Ein harter Beruf, den sie gern gemacht hat, "lieber als die Hausarbeit." Viel erzählt sie vom Zement, den man nur mit kaltem Wasser abputzen dürfe, weil er sonst hart werde. Und von ihrem Sohn, der für vier Jahre nach Amerika gegangen ist, nach El Paso, "mit dem Militär." Ihr Mann komme nie zum Seniorenfrühstück mit. Wie überhaupt Männer nicht so gesellig seien. Sie sei froh, wenn sie sich mal unterhalten könne, vor allem bei dem Wetter, wo man ja gar nicht raus könne.

Auch am Donnerstag sind die Frauen in der Überzahl. Ein Tisch ist mit neun Bewohnern des Pflegeheims an der Karwendelstraße belegt. Rollstuhlfahrer, auch Demenzpatienten sind dabei. "Es gehört zum Konzept, den Bewohnern möglichst viele soziale Kontakte zu ermöglichen", sagt Betreuer Stephan Selter. Wenn es schon so ein schönes Angebot gebe, solle man das auch in Anspruch nehmen. Rund 50 Gäste kommen zu den kostenlosen Seniorenfrühstücken, der Altersdurchschnitt liegt bei 75, schätzt Brigitta Opitz. Vor fünf Jahren hat sie das Angebot eingeführt, zuerst einmal im Monat, dann zweimal wegen der großen Nachfrage. Die 55-jährige Seniorenbeauftragte der Gemeinde, die seit 2002 für die CSU im Gemeinderat und seit 2013 im Kreistag sitzt, hat in den vergangenen Jahren beharrlich und ohne großes Aufsehen ein weit verzweigtes Netz an Hilfsangeboten aufgebaut. Zuerst den Förderverein Jugend- und Seniorentreff, der Gedächtnistraining, einen Deutsch-Französischen Freundschaftskreis sowie Schach oder Tanznachmittage anbietet.

Bei ihren Geburtstagsbesuchen als Gemeinderätin hat sie aber festgestellt, dass der Förderverein Menschen nicht erreicht, die nicht mehr mobil sind, geschweige denn tanzen können. "Ham's ned no a bisserl Zeit", sei sie bei diesen Besuchen oft gefragt worden. Opitz nahm sich die Zeit und gründete 2006 mit acht Helfern den Verein "Nur a bisserl Zeit". Inzwischen gehören ihm 80 Mitglieder an, die als Beiträge nicht Geld, sondern Zeit einbringen: Zeit für Besuche und Gespräche, für Arztbegleitung und Spaziergänge. Zeit für die Hilfe beim zweimal jährlichen Basar "Kaffee, Kuchen und Klamotten". Zeit für die Mithilfe bei der Lenggrieser Tafel, die unter Trägerschaft des Roten Kreuzes steht, aber vom Verein organisiert wird. Zeit für die Demenzgruppe "Freiraum", die Opitz vor zwei Jahren gegründet hat. Und Zeit für das Seniorenfrühstück. Finanziert wird alles über Spenden von Vereinen, Unternehmern und Privatleuten.

Weil die Gelder reichlich fließen, kann der Verein auch finanzielle Unterstützung leisten: eine neue Matratze, warme Socken, eine neue Brille - "die Leuten kommen meist nicht von sich aus, wenn sie etwas brauchen." Ein Vertrauensverhältnis müsse schon da sein, sagt Opitz. Inzwischen ist die Organisation und Koordination der vielen ehrenamtlichen Helfer mindestens ein Halbtagsjob, ein unbezahlter wohlgemerkt. "Wenn ich das gewusst hätte, als ich angefangen habe, hätte ich mich das vielleicht nicht getraut", sagt Opitz. Rückhalt habe sie immer auch von der Gemeinde bekommen, die kostenlos Räume zur Verfügung stellt. Opitz ist Grundschullehrerin und Mutter von drei erwachsenen Kindern. Sie hat sich gegen den Wiedereinstieg in ihren Beruf und für das Ehrenamt entschieden und es nie bereut. "Ich mache das mit Leidenschaft", sagt sie. "Unser Engel von Lenggries", nennt Herbert Fussek sie, und Opitz lacht ein bisschen verlegen. Der 93-jährige Vater des renommierten Pflegexperten Claus Fussek ist ebenfalls regelmäßiger Gast beim Seniorenfrühstück. Ein schlanker, älterer Herr, dem man ansieht, dass er sein Leben lang Sport gemacht hat. Fussek ist Mitbegründer des Lenggrieser Sportclubs. Tennis, Fußball, Eishockey, Tischtennis, Leichtathletik das war seine Leidenschaft. Mit zwei künstlichen Hüftgelenken gehe mit Sport freilich nichts mehr. "Aber beim Seniorenfrühstück treffen meine Frau und ich immerhin Bekannte aus der Sportgymnastik von früher." Um halb zwölf löst sich das Treffen auf, viele werden vom Fahrdienst kostenlos nach Hause gebracht. Auch Anneliese Kiefersauer. Daheim wird sie wieder lesen, sagt sie. Wie fast immer.

Infos unter gemeinde.lenggries.de/de/senioren-2

© SZ vom 28.03.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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