Lenggries:"Zone der Entschleunigung"

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Die Künstlervereinigung Lenggries hat für ihre als Gesamtkunstwerk angelegte Jahresausstellung ein klassisches Thema neu inszeniert: "Still leben"

Von Felicitas Amler, Lenggrie

Man hat sofort eine Vorstellungen bei dem Begriff "Stillleben": Ölbild, dunkler Hintergrund, davor eine Schale mit Obst, eine Flasche Wein, ein Tuch mit reichem Faltenwurf. Alles prall, sinnlich, süffig. Oder im Gegenteil: das Vanitas-Motiv, ein Totenkopf als Sinnbild aller Vergänglichkeit, umgeben von anderen leblosen Gegenständen, Büchern, Geigen. Die Künstlervereinigung Lenggries (KVL) zeigt in ihrer Jahresausstellung, wie das heute, zeitgemäß, aussehen könnte - und nennt es in bewusster Trennung des Begriffs "Still leben". Auf dieses Wortspiel nimmt der Zweite Vorsitzende, Ecki Kober, in seinem Vorwort Bezug, wenn er von der inszenierten Kunst-Schau als einer "Zone der Entschleunigung" spricht und die Aktualität des Themas deutlich macht: "Ist die Zeit der Besinnung und Erkenntnis nicht kulturelle Grundsicherung gegen eine modernisierte Verachtung der Menschenwürde?"

Stilles Leben zeigt sich bei der KVL ausschließlich modern, und das heißt mal abstrakt - wie die im Wortsinn vielschichtigen Acryl-Arbeiten des Gast-Künstlers Dennis Thies aus Köln -, mal gegenständlich-rätselhaft. So präsentiert Ursula-Maren Fitz einen "Seelenhemden" genannten Beitrag, der sieben T-förmig gestrickte "Hemden" auf einem Cotto-Untergrund zeigt, und an zweien davon hängt jeweils eine Rolle Toilettenpapier.

Die Lenggrieser haben es sich zum Ziel gesetzt, moderne Kunst von draußen hereinzuholen. Daher haben sie wieder Gäste eingeladen: die Franzosen Erwan Le Bourdonnec und Thierry Le Saec, den Kölner Dennis Thies und die Österreicherin Ursula Beier. Deren feministischen Ansatz kennen Tirol-Besucher vom Rand der Autobahn bei Kufstein: "Grüß Göttin", stand da einige Jahre lang in Pink auf Schwarz - und provozierte Konservative und Rechtspopulisten. Ob das stark katholisch geprägte Lenggries sich ebenfalls herausgefordert fühlt, wenn Beiler ihren Beitrag zu "Still leben" in Szene setzt? Sie wird eine Lichtprojektion auf die Rathausfassade werfen: die Gesichter Dutzender ganz normaler Menschen, die alle Heiligenscheine tragen. Auch hier kann man unschwer die emanzipatorische Botschaft erkennen.

Die Ausstellungen der KVL beruhten nicht auf einem "Prinzip Zufall", betonen die Vorsitzenden, Kober und Jürgen Dreistein. Es geht ihnen stets um das Gesamtkunstwerk Ausstellung. Deswegen öffnet sich der Kreis der Mitglieder auch nicht, wer dazukommt, muss als Gast geladen worden sein. Hier aber möchte die Gruppe die Grenzen weiten, nach Frankreich und Österreich sollen künftig auch andere europäische Länder vertreten sein.

Kunstwoche Lenggries 2015, Eröffnung am Freitag, 18. September, um 19 Uhr, Pfarrheim Geiersteinstraße 7.

© SZ vom 05.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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