Sagen und Mythen:O schaurig ist's, übers Moor zu gehn

Sagen im Moor

Elisabeth Pleyl fürchtet sich im Moor nicht. Für die Menschen früher waren die Feuchtgebiete von allerlei unheimlichen Wesen bevölkert.

(Foto: Manfred Neubauer)

Im Sonnenhofer Filz bei Bad Tölz glitzern goldene Flecken - früher hielt man sie für Moor-Irrlichter, die Geister toter Kinder. Doch das Phänomen lässt sich deutlich einfacher erklären.

Von Martina Schulz, Königsdorf

Als eines der vier Elemente hat Wasser von jeher eine große Bedeutung. Es gilt als Lebensspender und Veränderer; es gestaltet Landschaften und schafft Lebensräume. Es gilt aber auch als unberechenbar und bringt Tod und Verderben. Das gilt sicher gerade für Flüsse wie die Isar, deren Name sich wohl aus den keltischen Begriffen für "reißend" ("ys") und "Fluss" ("ura") zusammensetzt. Und mit der Isar und ihrem launischen Verhalten verbinden sich viele Geschichten, mit denen die Menschen der vergangenen Jahrhunderte sich Unerklärbares zu erklären suchten.

So hat die Isar eine eigene Loreley - die Isarnixe von Grünwald, die mit betörendem Gesang, der verdächtig an das Trällern eines Wasservogels erinnert, und ihrem wallenden grünen Haar die Tölzer Flößer in Angst und Schrecken versetzte, um sie vom rechten Weg abzubringen und in die unergründlichen Tiefen zu reißen. Noch heute soll sie mit ihrem Gatten, dem Wassermann, in einer Höhle bei Großhesselohe wohnen. Aufgrund des modernen Lärmpegels hört man sie allerdings nur noch selten.

Wie von Wassergeistern gibt es auch Geschichten von Moorgeistern, von Irrlichtern die den Menschen ins Verderben leiten wollen. Viele Menschen mussten früher die weglosen Feuchtgebiete durchqueren und auch in ihnen arbeiten. Moore gelten den meisten Menschen noch heute als bedrohlich.

An einem eisigen Dezembernachmittag scheint die Sonne fahlgelb hinter grauen Wolken hervor. Das Sonnenhofer Filz bei Königsdorf wirkt düster, obwohl man nur wenige Meter von der Straße nach Mooseurach entfernt ist. Es könnte die Kulisse für Annette von Droste-Hülshoffs Ballade "Der Knabe im Moor" bilden: "O schaurig ist's, übers Moor zu gehn." Elisabeth Pleyl dagegen sagt: "Ich fühle mich im Moor wohl. Eben weil Moore einsam sind. Unheimlich sind nur die Schüsse der Jäger."

Pleyl, 50, ist Naturschutzreferentin und setzt sich als Gebietsbetreuerin für die ökologisch besonders wertvollen Lebensräume ein, unter anderem im Arbeitskreis "Tölzer Moorachse", der für die Renaturierung und den Erhalt der Flächen arbeitet, die immerhin elf Prozent des Landkreises bedecken. Allein die vereinzelt stehenden, teils verfallenen Katen, die als Heulager genutzt werden, findet sie unheimlich, "wegen der Verwahrlosung". Sie sind stumme Zeugen des Versuchs, das Moor zu kultivieren.

Phosphorwasserstoff sorgt für Irrlichter

Von 1780 an siedelten vier Familien aus der Oberpfalz in dem feuchten Gebiet, das kaum genug zum Leben bot. Deshalb wurden drei der Anwesen auch siebzig Jahre später nach Königsdorf verlegt. Nur das vierte war bis 1953 bewohnt. Daran erinnert eine Tafel auf Höhe des Mühlbachs, der durch das Filz fließt.

Für einen Moment schiebt sich die graue Wolkendecke beiseite und die Sonne taucht die weiten Flächen in ein bernsteinfarbenes Licht. Auf dem teerig dahin strömenden Mühlbach glitzern goldene Flecken. Irrlichter wie in der Sage "Das Irrlicht an der Wackersberger Leiten" sind das aber nicht. "Die entstehen durch die Freisetzung von Phosphorwasserstoff, der im naturnahen Moor vorkommt", erklärt Pleyl. "Wenn dieser mit Sauerstoff in Berührung kommt, entzündet er sich."

Das Moor verschluckt keine Menschen

Im Volksglauben handelt es sich um die Geister tot geborener und nicht getaufter Kinder, die die Reisenden vom Wege abbringen, damit diese in den Moorlöchern versinken. "Das ist eigentlich gar nicht möglich, denn das Moor hat eine größere Dichte als ein menschlicher Körper", sagt Pleyl. Nur wenn man in Panik gerate und die eng verwobene Torfsubstanz lockere, könne man sich "reinwühlen", aber dass das Moor einen nach unten ziehe, gehöre ins Reich der Legendenbildung.

Dieser Glaube hängt vermutlich mit den Moorleichen zusammen, die immer wieder beim Torfstechen gefunden wurden, wenn auch nicht im Landkreis. "Es gibt zwei Arten von Moorleichen. Menschen, die aufgrund eines Verbrechens im Moor hingerichtet wurden, oder Menschenopfer für den Gott Thor." Sie mussten beschwert werden, um überhaupt versinken zu können. Pleyl zeigt Wandergruppen gerne ein Foto des sogenannten Tollund-Manns, der durch den sauren Torfboden und den Sauerstoffabschluss in einem Moor in Dänemark perfekt konserviert wurde. Er sieht aus, als ob er mit einem zufriedenen Lächeln auf den Lippen schläft.

Aus einem zugefrorenen Wasserloch ragt ein knorriger Kiefernzweig empor, der im Dämmerlicht auch ohne viel Fantasie wie ein menschlicher Arm aussieht. Und die kleinen Kiefern, die doch schon 25 bis 30 Jahre alt sind und im nährstoffarmen Hochmoor nicht größer werden, wirken bei aufziehendem Nebel wie bucklige, alte Frauen. "Vielleicht kommt die Vorstellung der Moosweiblein daher", sagt Pleyl.

Die "Wilde Jagd", die von November an bis Heilig Dreikönig unter der Führung von Wotan durch die Moore jagt, ist ein Sinnbild für die oft heftigen und gefährlichen Winterstürme. Die furchterregenden Vorstellungen hängen auch mit der Nebelbildung und den Geräuschen zusammen, die in der Einsamkeit des Moores besonders weit zu hören sind und durch die Weite hallen. "Gerade Tierrufe wirken oft unheimlich", sagt Pleyl und nennt als Beispiel das schaurige "Huhp Huhp" der Rohrdommel, eines Vogels, der auch als Moorkuh bekannt ist.

Im Winter kommen die Balzrufe der Uhus dazu, die Bettelrufe junger Schleiereulen, die wie Fauchen und Zischen klingen. Früher jagten auch Wölfe durch die Moore, deren Heulen ebenfalls schauerlich wirkte. "Aber in Sommernächten liegt ein bezaubernder Klangteppich über den Mooren", sagt Pleyl. Dann sind Sumpfrohrsänger, Wachtelkönig, Maulwurfsgrille und verschiedene Amphibien zu hören.

Nicht aber im Winter. Es ist still, totenstill. Allein das Knirschen der Schuhe beim Gehen über die dünne Schneeschicht ist zu hören. Wie ein feines, weißes Leichentuch bedeckt sie die Torfmoose. "Als Kind fand ich das Moor eintönig und flach", sagt Pleyl. Heute fasziniert sie die karge Schönheit der einsamen Wildnis.

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