Lebensmittelskandal:Firmenchef soll Listerien-Funde auf Wurst verschwiegen haben

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Sieber-Chef Dietmar Schach kündigt 2016 bei einer Pressekonferenz juristische Schritte gegen die Gesundheitsbehörden an. (Foto: Claus Schunk)
  • Am Montag beginnt der Prozess gegen den früheren Sieber-Geschäftsführer Dietmar Schach.
  • Die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft reichen weiter, als bislang bekannt gewesen war: Der Firmenchef soll früh von Listerien-Befunden im Betrieb gewusst haben.

Von David Costanzo, Geretsried

Er spricht langsam, blickt immer wieder nach unten, lehnt erschöpft im Stuhl. Dietmar Schach ist müde. Tagelang hat er zusehen müssen, wie die Behörden sein Lebenswerk "plattmachen", seine Großmetzgerei Sieber in Geretsried. Er hat kaum geschlafen. Das Gesundheitsministerium warnte vor den Waren, das Landratsamt schloss den Betrieb, er selbst musste rund 200 Sorten aus den Supermärkten zurückrufen - Leberkäs fein in Scheiben, 100 Gramm, Gelbwurst mit Petersilie, 100 Gramm, auch Aufschnitt vegetarisch mit Gürkchen, 125 Gramm.

Bakterien sind in einzelnen Produkten gefunden worden, genauer gesagt: Listerien. Listerien?

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Der Sieber-Geschäftsführer wirkt ratlos, als er sich erstmals selbst zu dem Skandal äußert, der längst bundesweite Dimensionen angenommen hat. Doch er hat die Ärmel aufgekrempelt und die Worte formuliert. Seine Stellungnahme vor den Fernsehkameras soll sein Gegenangriff werden. Dietmar Schach glaubt, an seinem Betrieb solle ein "Exempel statuiert" werden, es gebe politische Gründe, der Freistaat wolle vom eigenen Versagen in früheren Fällen ablenken - Stichwort Bayern-Ei. Jedenfalls sei keine eigene Probe positiv auf die Bakterien gewesen, das betont er mehrfach, auch auf Nachfrage. Als eine Reporterin ungläubig nach Sabotage fragt, lässt er dies schulterzuckend im Raum stehen.

Das war vor fast einem Jahr, Sieber ist pleite. Am Montag steht der frühere Geschäftsführer Schach in Wolfratshausen vor Gericht. Denn die Staatsanwaltschaft sieht die Abläufe anders. Ihre Vorwürfe sind weitreichender als bislang bekannt. Dietmar Schach soll nicht erst mit dem Skandal vor einem Jahr von Listerien auf Sieber-Produkten erfahren haben. Bereits 2013, also drei Jahre zuvor, seien je eine Probe "Debrecziner classic" und "Debrecziner feurig-scharf" mit den Bakterien verunreinigt gewesen, sagt der Sprecher der Münchner Staatsanwaltschaft, Ken Heidenreich. Eigene Kontrollen von Sieber hätten die Belastungen von 520 und 12 000 Kolonie bildenden Einheiten pro Gramm ergeben, wie das Maß bei Bakterien heißt. Der Grenzwert liegt bei 100.

Damit sei der Betrieb verpflichtet gewesen, die Befunde den Behörden zu melden. Doch Geschäftsführer Schach soll sie nicht nur seinem eigenen Qualitätsmanager vorenthalten haben, sondern auch dem Landratsamt, so der Vorwurf der Ermittler. Auch im Jahr 2015, also immer noch ein Jahr vor dem Skandal, habe es "Auffälligkeiten" gegeben, sagt der Oberstaatsanwalt.

Schach beteuert seine Unschuld

Dem Geschäftsführer müsse bewusst gewesen sein, "dass sein Betrieb kontaminiert ist", so Heidenreich. Darum werde er beschuldigt, vorsätzlich ein gesundheitsschädliches Lebensmittel in Verkehr gebracht zu haben - nämlich ein "Original bayerisches Wacholderwammerl", das im März 2016 in einem Supermarkt entdeckt wurde und das mit 190 000 Kolonie bildenden Einheiten pro Gramm belastet war. Wegen dieses möglichen Verstoßes gegen das Lebensmittelrecht beantragte die Staatsanwaltschaft einen Strafbefehl über 2250 Euro. Zum Prozess kommt es am Montag nur, weil Schach sich gegen den Vorwurf wehrt. Er hat stets seine Unschuld beteuert und Einspruch gegen den Strafbefehl eingelegt.

Schach äußert sich nicht vor dem Prozess, der auf zwei Tage mit etlichen Zeugen und Sachverständigen angesetzt ist. Sein Münchner Anwalt Andreas Meisterernst weist die Anschuldigungen der Staatsanwaltschaft scharf zurück: "Es drängt sich der Eindruck auf, dass da etwas hängen bleiben sollte."

Denn die Ermittler haben die Arbeit erst aufgenommen, als ein noch viel schwerer wiegender Verdacht aufkam. Die Gesundheitsbehörden - etwa das Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit, das Bundesinstitut für Risikobewertung und das Robert-Koch-Institut - halten einen Zusammenhang mit einer Krankheitswelle in Süddeutschland für wahrscheinlich. Seit 2012 infizierten sich fast 80 Menschen mit Listeriose, acht von ihnen starben - alle sollen sich mit einem speziellen Erreger angesteckt haben, der mit hoher Wahrscheinlichkeit auch auf Sieber-Produkten gefunden worden sei.

Das hätten genetische Analysen bestätigt. Nur deswegen warnten die Behörden vor Wurst und Wammerl, nur deswegen kam der Skandal ins Rollen. Nur: Darum geht es vor Gericht nicht. Die Staatsanwaltschaft könne diesen Zusammenhang nicht herstellen, sagt Sprecher Ken Heidenreich, denn zu einer möglichen Körperverletzung gehöre eine individuelle Schuld. "Eine strafrechtliche Nachweisbarkeit konnte nicht geführt werden."

Auch der Sieber-Insolvenzverwalter Josef Hingerl sieht das Unternehmen zu Unrecht geschlossen und den Chef zu Unrecht beschuldigt. Listerien gebe es in jedem Betrieb, die möglichen Nachweise von 2013 gingen womöglich auf eine Produktentwicklung zurück. Jedenfalls ändere der Vorwurf nichts an seiner Schadenersatzklage gegen den Freistaat, die er in zwei Wochen einreichen will. Hingerl fordert mehr als 13 Millionen Euro.

Das 12 000-Quadratmeter-Grundstück in der Geretsrieder Böhmerwaldstraße werde verkauft. Es gebe einige Interessenten, sagt Hingerl, alle aus dem gewerblichen Bereich. Sollte ein Käufer die Nutzung ändern wollen, müsse dieser selbst mit der Stadt verhandeln. Die hat nach eigenen Angaben aber keine Anfragen.

Rund 100 Mitarbeiter standen zuletzt bei Sieber in Lohn und Brot. Rund 50 von ihnen haben sich an die Arbeitsagentur gewandt, gut 40 seien vermittelt worden. Insolvenzverwalter Hingerl geht sogar davon aus, dass mittlerweile alle bei anderen Betrieben untergekommen sind.

© SZ vom 22.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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