Lebendiges Brauchtum:"Hau ruck" in den Himmel

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In der Gemeinde Lenggries werden heuer gleich vier neue Maibäume aufgestellt. Um die tonnenschweren Kolosse in Position zu bringen, sind Muskelschmalz und Teamgeist gefragt.

Von Thekla Krausseneck, Lenggries

Wie ein Pfeil zeigt der Maibaum in den blauen Himmel: Oben federt im leichten Wind die Spitze aus grün benadelten Zweigen, unten stemmen 51 Burschen den Baum auf Kommando Stück für Stück höher. "Hau ruck!", ruft Maibaummeister Martin Gerg; die mit viel Muskelkraft in Bewegung gebrachten Scherstangen scharren über den Boden, das frische Holz des Maibaums knarrt bedrohlich, und wieder steht der Baum ein wenig aufrechter da. Ein paar Zentimeter nur schaffen die Männer mit jedem "Hau ruck": Der Maibaum, den die Freiwillige Feuerwehr vor der Kapelle im Lenggrieser Ortsteil Schlegldorf aufstellt, ragt 47 Meter empor und wiegt vier Tonnen. "Deshalb lassen wir uns auch ein bisserl Zeit", sagt Jakob Ertl, Vorsitzender der Feuerwehr, "die Sicherheit geht vor."

Am Stück oder geschnitten: Der Schlegldorfer Maibaum besteht heuer aus zwei Stämmen, die zusammengefügt werden. (Foto: Manfred Neubauer)

Die Gemeinde Lenggries ist mit 243 Quadratkilometern die größte Gemeinde im Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen, die rund 10 000 Einwohner verteilen sich auf sieben Ortsteile - vier davon haben heuer ihren Maibaum erneuert. Schlegldorf profitiert vom offen gelegenen Standort des Maibaums: Weil es kaum Gebäude gibt, die ein Manövrieren mit dem Baum erschweren, können sich die Schlegldorfer einiges erlauben. Der Maibaum, der in den kommenden zwei Jahren an der Kapelle steht, besteht eigentlich aus zwei Bäumen, sagt Ertl: Der untere und der obere Teil sind geschiftet, also schräg angeschnitten und etwa in der Mitte mit starken Eisenringen zusammengefügt worden. Ungewöhnlich ist das Schiften nicht: Beim Fällen im Wald bricht öfters mal die Spitze ab - für diesen Fall hat man sich schon vorher eine schöne neue gesucht, die dann von einem Zimmermeister so passgenau auf den Hauptstamm gesetzt wird, dass der Maibaum wie aus einem Guss wirkt. Eine sensible Stelle, diese im Wind federnde Spitze. Aber dass sie abbricht, das glaubt Ertl nicht: "Der Baum ist ganz frisch geschnitten. Das Holz ist noch zäh."

Vier neue Maibäume werden heuer in der Gemeinde Lenggries aufgestellt. (Foto: Manfred Neubauer)

Für die Burschen beginnt der Tag mit dem Sonnenaufgang: Schon um 5 Uhr morgens stehen sie im Wald, um die gespendeten Fichten zu fällen. In den kommenden Stunden werden die Bäume abtransportiert, von der Rinde befreit, geschiftet und präpariert. An der Dorfschänke in der Lenggrieser Ortsmitte fährt gegen neun Uhr ein Traktor heran, im Anhang den 40 Meter langen Baum mit der geschifteten Spitze. Nach und nach sammeln sich die rund 50 Helfer und ihr Publikum, die einen vor, die anderen hinter der Absperrung. Anders als in Schlegldorf und Anger gibt es an der Dorfschänke eine Haltevorrichtung, in welcher der vorgebohrte Fuß des Baums mit laut klingenden Hammerschlägen fixiert wird. Dann hebt ein Gabelstapler den Baum ein wenig an, damit die Burschen den Kranz mit gut zwei Meter Durchmesser über die Spitze führen können. Kurz darauf flattern weiße und blaue Fähnchen vom Stamm und eine lange Tannengirlande zwirbelt sich um das Holz. Jetzt kommen die Scherstangen zum Einsatz: "Hau ruck!", ruft der junge Maibaummeister Stefan Berger, der von seinem Vorgänger Michael Rommelmair angelernt wird. Eine Knochenarbeit: Zweieinhalb Stunden schieben und stemmen die Burschen, dazwischen gibt es eine kurze Brotzeit - kurz vor halb 12 Uhr steht der Baum. Überpünktlich: Um Mittag, so heißt es unter Maibaumkennern, soll das Werk vollbracht sein.

In der Lenggrieser Dorfmitte bringen Helfer ein 40 Meter langes Exemplar mit Hilfe von Scherstangen in Position. (Foto: Manfred Neubauer)

Auch in Vorderriß und Anger stellen die Burschen Maibäume auf; der in Anger schafft es auf 37 Meter - ist dafür aber aus einer einzigen Fichte, sagt Maibaummeister Kaspar Willibald. Vor dem Wastlerwirt klafft ein mehrere Meter tiefes Loch im Boden, aus dem Staub wölkt, als die Scherstangen den tonnenschweren Koloss in die Höhe schieben. In einer Verschnaufpause fährt ein Bagger heran, nähert sich dem Loch, schiebt die Schaufel in den Aushub, der sich daneben auftürmt, und füllt etwas davon zurück, um den Stamm zu stabilisieren. Das Publikum bleibt gern auf Abstand: Bei jeder Bewegung schwankt der Maibaum beunruhigend. Doch die Burschen haben alles im Griff.

© SZ vom 02.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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