Kultur:Das verbotene Instrument

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Der Lobpreis Gottes ist in der russisch-orthodoxen Kirche der menschlichen Stimme vorbehalten. Dennoch verschreiben sich auch junge Russen der Orgel. Acht Meisterschüler kommen nach Bad Tölz

Von Reinhard Szyszka, Bad Tölz

Russland und Orgel? Das passt nicht zusammen. Die großen russischen Komponisten wie Tschaikowski haben Orchesterwerke, Kammermusik und Klavierstücke geschrieben, auch Opern und Oratorien. Orgelkompositionen finden sich in ihrem Oeuvre nicht. In russisch-orthodoxen Kirchen gibt es ja keine Orgeln! Nach orthodoxer Auffassung ist der Lobpreis Gottes - und damit jegliche Kirchenmusik - allein der menschlichen Stimme vorbehalten, weil Instrumente nicht beten können.

Dennoch gibt es auch in Russland angehende Musiker, die von der Orgel fasziniert sind, Orgelmusik lieben und das Orgelspiel studieren wollen. Das Moskauer Gnessin-Institut, eine bekannte und traditionsreiche Kaderschmiede für Spitzenmusiker aller Sparten, bietet auch Orgelunterricht an. Der renommierte Konzertorganist und Musikwissenschaftler Alexander Fiseisky leitet diese Orgelklasse. Und weil es im Land kaum hervorragende Instrumente gibt, führt Fiseisky alljährlich mit acht seiner Meisterschüler eine Studienreise ins Ausland durch. In diesem Jahr ist erstmalig Süddeutschland das Ziel. Vom 23. September bis 9. Oktober dauert die Reise, und Bad Tölz wird der Fixpunkt sein.

Jede Orgel hat ihren eigenen Klang. Die Meisterschüler werden von Bad Tölz aus zahlreiche Orgeln in der Umgebung besichtigen und kleine Konzerte geben. (Foto: Rolf Vennenbernd/dpa)

Für Orgelfreunde im Tölzer Land ist Alexander Fiseisky kein Unbekannter: Vor etlichen Jahren hat er in der Franziskanerkirche ein denkwürdiges Konzert gegeben. Seither sind die Verbindungen des russischen Organisten in die Kurstadt, insbesondere zum rührigen "Verein der Freunde und Förderer der Orgelkunst im Tölzer Oberland", nicht abgerissen. Als für Fiseisky das Ziel Süddeutschland der diesjährigen Orgelstudienreise feststand, fragte er als erstes in Bad Tölz an. Der Verein erklärte sich gerne bereit, die Reise zu organisieren. Die Jugendförderung ist in der Vereinssatzung ausdrücklich als eines der Ziele erwähnt; das schließt solche Unternehmungen ein.

Die Studienfahrt soll fortgeschrittenen Studenten die Möglichkeit bieten, hochwertige Orgeln verschiedener Art kennenzulernen und auf ihnen zu spielen. Die Instrumente unterscheiden sich in ihrer Größe, aber auch in ihrer musikalischen Ausrichtung. Eine Barockorgel ist etwas anderes als eine romantische oder eine moderne Orgel, und entsprechend unterschiedlich ist das für diese Instrumente geeignete Repertoire. Bach klingt nun mal auf einer Barockorgel am besten, während für Reger eine romantische Orgel erste Wahl ist.

Sepp van Hüllen und der "Verein der Freunde und Förderer der Orgelkunst im Tölzer Oberland" ermöglichen den russischen Studenten die Studienreise. (Foto: Manfred Neubauer)

Alexander Fiseisky und seine Studenten werden von Tölz aus kleinere und größere Fahrten unternehmen. Die am weitesten entfernten Ziele sind die Orgeln des Klosters St. Mang in Füssen sowie die große Domorgel von Regensburg. Auch nach Österreich ist ein Abstecher geplant, zur Orgel von Hopfgarten in Tirol. Aber auch in Landsberg, Andechs, Lenggries, Sachsenkam, Bad Wiessee und Tegernsee gibt es bemerkenswerte Orgeln, und die Landeshauptstadt München wartet natürlich ebenfalls mit bedeutenden Instrumenten auf. Die Studenten werden die Orgeln nicht nur besichtigen, sondern auch kleine öffentliche Konzerte geben, bei denen um Spenden zur Unkostendeckung gebeten wird.

Der "Verein der Freunde und Förderer der Orgelkunst im Tölzer Oberland" und sein 1. Vorsitzender Sepp van Hüllen sind stolz darauf, trotz sehr begrenzter finanzieller Mittel diese Studienfahrt aus eigener Kraft zu ermöglichen. Die Hauptaufgabe des Vereins ist ja die Durchführung der Tölzer Orgelfesttage, wo arrivierte Orgelvirtuosen in der Tölzer Stadtpfarrkirche Maria Himmelfahrt auftreten. Doch darf daneben die Jugendarbeit nicht zu kurz kommen. Schließlich sind die Studenten von heute die Star-Organisten von morgen, und wenn sie einen guten Eindruck von Bad Tölz und der süddeutschen Orgellandschaft gewinnen, dann kommen sie vielleicht in ein paar Jahren wieder und bereichern die Tölzer Orgelfesttage mit einem eigenen Konzert. Dann passen die Begriffe "Russland" und "Orgel" doch besser zusammen als zunächst gedacht, und die Orgelfesttage können ernstlich erwägen, eine Saison ganz mit russischem Repertoire zu gestalten. Sollte es dazu kommen, dann hat sich die Organisation der Studienreise für den Verein auf jeden Fall ausgezahlt.

Informationen unter www.toelzer-orgelfesttage.de

© SZ vom 11.08.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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