Konzertkritik:Luzider, genialer Klang

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Die vier Musiker des Borodin Quartetts aus Moskau überzeugten mit ihrem Konzert beim Ickinger Frühling. (Foto: Harry Wolfsbauer)

Das Borodin Quartett gehört eindeutig zu den Höhepunkten des "Ickinger Frühlings". Auf der Bühne verzichten die Musiker aus Russland auf den pathetischen Gestus und lassen so Schostakowitsch und Beethoven für sich sprechen

Von Claudia Koestler, Icking

Hätte man nur ein einziges Wort, um den Auftritt des weltberühmten Borodin Quartetts in Icking zu beschreiben, bliebe vielleicht "überraschend" am Ende übrig. Denn in der Tat, der Auftritt am Samstag fiel aus dem Rahmen dessen, was heute moderne Ästhetik und ja, auch Darstellungskunst, im Klassikbetrieb ist - und was vielleicht auch der eine oder andere im Publikum erwartet hätte.

Doch zunächst einmal der Rahmen an sich: Am Wochenende fand das internationale Streichquartett-Festival "Ickinger Frühling" zum dritten Mal statt. Das Basler Gémeaux Quartett trat dabei genauso auf wie das Londoner Doric String Quartet und das Pariser Quatuor Hermès. Ein Coup der Organisatoren zudem, das Borodin Quartett verpflichtet zu haben. Den Mitgliedern des russischen Ensembles oblag es, das sehr gut besuchte Konzert am Samstagabend zu gestalten.

Bei Streichquartett-Ensembles ist es oft so: Der Name bleibt, die Personen wechseln. Im Fall des im Jahre 1945 in Moskau gegründeten Borodin Quartetts hat immer wieder ein Generationenwechsel stattgefunden. Von den Musikern, die das Ensemble einst gründeten, ist naturgemäß keiner mehr dabei. Heute besteht das Quartett aus den beiden Geigern Ruben Aharonian und Sergej Lomovsky, dem Bratschisten Igor Naidin und dem Cellisten Vladimir Balshin. In Icking loteten sie die "Seelenverwandtschaft", so der Titel des Programms, zwischen Schostakowitsch und Beethoven aus.

Zu Beginn führte das Streichquartett Nr. 11 von Dmitri Schostakowitsch in eine Welt der Trauer. Die vier Musiker hatten kurzfristig noch die Programmreihenfolge geändert und mit dessen siebtem Streichquartett getauscht. Dieses op. 122 ist ein Werk, das lediglich im Scherzo etwas von seiner grüblerischen Dunkelheit verliert. Selbst die Humoreske gab sich grimmig unnahbar im Ton, das Finale wurde zu einem fast schon gespenstischen Klagegesang. Erstaunlich dabei war der perfekte, nichtsdestotrotz zurückhaltende, ja nüchtern und fast emotionslos wirkende Auftritt der Musiker. Das Quartett ließ sich weder zu allzu großer Groteske noch zu heftigem Pathos verführen, die Musiker pflegten stattdessen einen Auftritt von intellektueller Distanz: nicht einmal Blicke tauschten sie untereinander aus. Und dennoch das Faszinierende daran: Zu keiner Zeit waren sie eine Gruppe einzelner, sondern bildeten eine Einheit im Zusammenspiel und schufen einen organischen Fluss wie mit einem einzigen Instrument mit sechzehn Saiten. Ohne dem Werk eigenes inspiratorisches Feuer und Emotionen aufzudrücken, ließen sie die Charakterstücke als vielschichtige Trauerarbeit für sich sprechen mit Transparenz, Satzentwicklung, Intonationsgenauigkeit, klanglicher Abstimmung und Balance.

Nach Schostakowitschs Streichquartett Nr. 7 und einer Pause dann der Sprung zu Beethoven mit dessen Opus 127 in Es-Dur. Ein Werk, das den Weg der Klassik in die Romantik andeutet. Durch die dynamischen Differenzierung ergab sich hier unter dem Spiel der Musiker keine brütende Betulichkeit, sondern wiederum ein luzides Klangbild von einer gelegentlich fast gläsernen, graziösen Durchsichtigkeit. Gerade durch den zwar etwas leichteren, aber wiederum alles andere als leidenschaftlich brodelnden Ansatz lag der Fokus auf dem natürlichen Strom dieses vergeistigt wirkenden Spätwerks.

Die Musiker legten so die philosophischen Gemeinsamkeiten der beiden Komponisten nahe: Das kontemplative Sinnieren über eine bessere Welt. Beethoven übrigens soll überlieferterweise ein trotziger und unwirscher Charakter gewesen sein, was sich auch in seinen Werken spiegelt. Beethoven selbst aber schrieb einst: "Wahre Kunst ist eigensinnig und lässt sich nicht in schmeichelnde Formen zwängen." Auch wenn das Borodin Quartett keine expressiven Brüche auslotete und sich damit gegen die Konvention der heute zahlreichen jungen, wilden, heißblütigen Quartette stellte, denen es um das Mitreißen des Publikums geht: Ein Spiel mit der klassischen Tradition war es, perfekt, exemplarisch und auf allerhöchstem Niveau.

© SZ vom 18.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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