Kochel am See:Völkerverständigung im Bergwald

Bei einem internationalen Workcamp zwischen Miesbach und Kochel pflanzen junge Leute 6000 Tannen. Akute politische Konflikte spielen zwischen Teilnehmern aus Russland und der Ukraine keine Rolle

Von Klaus Schieder, Kochel am See

Klein und zierlich, mit schmutziger Hose und Dreck an den Schuhen steht Kateryna im Bergwald oberhalb von Kochel. Der Weg unter ihren Füßen ist vom Regen der vergangenen Tage aufgeweicht, sie sieht ein wenig erschöpft aus. Dennoch ist sie guter Dinge. "Mir gefällt Deutschland, und ich wollte gerne nach Bayern fahren", sagt die junge Frau in fast akzentfreiem Deutsch, das sie in der Schule gelernt hat. Kateryna gehört zu einer internationalen Gruppe von zwölf jungen Leuten im Alter von 16 bis 25 Jahren, die an einem Workcamp teilnehmen und im Zuge der Bergwaldoffensive knapp 6000 Tannen in den Projektgebieten in den Landkreisen Miesbach und Bad Tölz-Wolfratshausen pflanzen. Würde ihre Arbeit im Bergwald von Maschinen erledigt, müsste man "eine Million Euro für einen Hektar" ausgeben, sagt Forstdirektor Wolfgang Neuerburg vom Amt für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Miesbach (AELF).

Die Zusammensetzung der internationalen Gruppe erscheint konfliktträchtig. Denn neben ein paar Deutschen, zwei Spanierinnen, einem Japaner und einer Französin sind auch zwei Freiwillige aus Russland und drei aus der Ukraine vertreten. Der Krieg zwischen beiden Ländern in der Ostukraine führte jedoch nicht zu Problemen im Team, im bayerischen Bergwald ist der Donbass weit weg. "Alle hier sind sehr nett", bestätigt Kateryna, die aus der Ukraine stammt. Stephan Philipp findet gerade dies bemerkenswert. "Es ist besonders schön, dass Russen und Ukrainer hier friedlich zusammenarbeiten", sagt der Projektmanager Bergwaldoffensive im AELF.

Kochel am See: Gemeinnützig arbeiten, andere Lebenswelten kennenlernen und Sprachkenntnisse trainieren: Irina aus Russland gehört zum internationalen Waldcamp.

Gemeinnützig arbeiten, andere Lebenswelten kennenlernen und Sprachkenntnisse trainieren: Irina aus Russland gehört zum internationalen Waldcamp.

(Foto: oh)

Völkerverständigung ist auch das erklärte Ziel der Organisation Internationale Jugendgemeinschaftsdienste, die 1949 gegründet wurde und solche Workcamps auf den Gebieten Naturschutz, Kultur, Pädagogik und Soziales rund um den Globus veranstaltet. Die jungen Teilnehmer sollen zwei bis drei Wochen lang für einen gemeinnützigen Zweck arbeiten, andere Lebenswelten kennenlernen und ihre Sprachkenntnisse trainieren. Den Flug zahlen sie selbst, für Unterkunft und Verpflegung wird gesorgt. Das Bergwald-Team war zwei Wochen lang in einer Hütte am Spitzingsee untergebracht, diese Woche wohnen die Mitglieder im Zentrum für Umwelt und Kultur (ZUK) in Benediktbeuern. Fünf Stunden pro Tag pflanzen sie Bäume, den Rest haben sie zur freien Verfügung. Dann stehen auch Ausflüge nach Salzburg oder nach Garmisch auf dem Programm.

Ein pures Vergnügen war die Arbeit unter den Bäumen für sie allerdings nicht. Es regnete fast immer. Wer schon mal im Bergwald unterwegs war, der wisse, "wie anstrengend und nervig" dort ein solches Wetter sei, sagt der Zweite Landrat und Kochler Bürgermeister Thomas Holz (CSU). Der Gruppe zolle er deshalb "höchsten Respekt". Wenn dann noch Russen und Ukrainer miteinander auskämen, "dann ist das eine schöne Sache, die man fördern sollte". Forstdirektor Neuerburg goss seine Anerkennung in den Satz: "Der Regen war schon wirklich ekelhaft, trotzdem sind alle noch frisch dabei - eine tolle Truppe."

Kochel am See: Vize-Landrat Thomas Holz (li.) besuchte die Gruppe mit Projektmanager Stephan Philipp (hinten, 2. v. li.) und Forstdirektor Wolfgang Neuerburg (re.).

Vize-Landrat Thomas Holz (li.) besuchte die Gruppe mit Projektmanager Stephan Philipp (hinten, 2. v. li.) und Forstdirektor Wolfgang Neuerburg (re.).

(Foto: oh)

An der Bergwaldoffensive, die Teil des Klimaprogramms 2020 der bayerischen Staatsregierung ist, beteiligt sich das Miesbacher Amt seit fünf Jahren. Die Projektgebiete im Landkreis reichen von Bichl über Benediktbeuern und Ried bis nach Kochel. Auf einer Gesamtfläche von etwa 20 Hektar wird dort versucht, dem Bergwald durch das Pflanzen anderer Baumarten wieder Stabilität zu geben und ihn so auf den Klimawandel vorzubereiten. Auf den Hängen gibt es oftmals nur reine Fichtenbestände, die empfindlich sind gegen Windwürfe, Trockenheit und den Borkenkäfer. Deshalb setzte die internationale Gruppe meist Tannen und einzelne Eiben in den Waldboden ein, etwa 400 pro Tag. Die Setzlinge hätten Wurzelballen, damit sie "gleich einen guten Halt haben", sagt Forstwirt Thomas Schuster. Schutz vor Steinschlag, Hochwasser, Muren und Lawinen - "der Bergwald ist unersetzlich", sagt Forstdirektor Neuerburg. Ob seiner exponierten Lage sei er durch den Klimawandel besonders gefährdet. Um seine Schutzfunktion zu behalten, müsse er eine gesündere Struktur bekommen. Aktionen wie das Workcamp sind für ihn deshalb nicht bloß in finanzieller Hinsicht und der geleisteten Arbeit wegen begrüßenswert. "Wir können die Bedeutung des Bergwalds nochmals in der Öffentlichkeit bekannt machen, da ist noch viel Unwissen da."

Hinter Neuerburg albern einige aus der Gruppe in der Pause herum. Bogdan sagt, dass man "wirklich viel Spaß" habe. Man koche international, teile sich die Hausarbeit und spiele gemeinsam, erzählt der Student aus Ravensburg. Und Leila, ebenfalls Deutsche, fügt hinzu: "Es macht sogar bei Regen Spaß."

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