Keine Stimmung:Verirrt in Reichersbeuern

Clavis Klavier-Festival

Pianist Boris Konovalov mit Veranstalterin Natalya Panina-Rummel beim Konzert in Schloss Reichersbeuern.

(Foto: Manfred Neubauer)

Warum der Klavierabend mit Boris Konovalov im Rahmen des Festivals "Clavis" enttäuscht

Von Sabine Näher, Reichersbeuern

Als Ortsangabe für den Klavierabend mit Boris Konovalov im Rahmen des zum zweiten Mal in Reichersbeuern stattfindenden Internationalen Festival der Klavierkunst "Clavis" wird auf der Website lediglich Schloss Reichersbeuern benannt. Dort angekommen findet sich kein weiterer Hinweis vor. Ein Internatsschüler schickt drei potenzielle Konzertbesucher aus dem Schloss hinaus in die Aula - quer durch unbeleuchtetes Gelände. Dort ist die Tür verschlossen, kein Licht brennt. Also zurück zum Schloss. Nächster Versuch: Ein Konzert? Das könnte im ersten Stock sein. Oder im zweiten... Zugegeben: Es gibt Orte, an denen man weniger gerne umherirrt als im beeindruckenden Gebäudekomplex des Schlosses Reichersbeuern. Trotzdem wäre ein kleiner Hinweis auf den Konzertort, ein handbeschriebenes Papier hätte ja genügt, ein freundlicher Service für die Besucher gewesen.

Endlich im Saal angekommen, findet man einen Zettel auf den Stühlen vor, der ein "Piano Recital" in der Silk Purse Art Gallery in Vancouver "Sunday, November 26, 2017" ankündigt. Das dort angegebene Programm gedenkt der Künstler wohl auch an diesem Abend aufzuführen. Gleichwohl hätte man sich die Mühe machen dürfen, den Anlass zu aktualisieren.

Um 19 Uhr soll das Konzert beginnen. Ein knappes Dutzend Zuhörer hat den Preysing-Saal mittlerweile gefunden. Eine Viertelstunde später treffen die Jurymitglieder und einige der Wettbewerbsteilnehmer ein. Intern wurde also ein späterer Beginn ausgemacht - keine nette Geste gegenüber dem Publikum. Dann erscheint Boris Konovalov, angekündigt als Pianist aus Kanada. Der gebürtige Russe hat in Moskau am renommierten Tschaikowsky-Konservatorium studiert und ist als Professor in Kanada und Israel tätig.

Mit Bachs Partita Nr. 2 c-Moll beginnt laut Zettel das Programm. Man glaubt, sich verlesen zu haben, denn es hebt an wie Rachmaninow: irre laut (viel zu laut für den kleinen Raum!), mit hartem, fast brutalem Anschlag. Das soll Bach sein? Nun wird man, wenn ein moderner Konzertflügel bespielt wird, keinen historischen Aufführungspraktiker erwarten dürfen. Aber orientiert an deren Erkenntnissen zu spielen ist heute Standard. Technisch hat Konovalov einiges zu bieten, aber eine derartige stilistische Verirrung ist wirklich anachronistisch. Hier wird ein uraltes, eigentlich längst überwundenes Vorurteil aus der Mottenkiste geholt, das Bach eine kalte, seelenlose, rein technisch abzuspulende Musik unterstellt.

Man ahnt: Wer Bach so angeht, wird bei Beethoven nicht subtiler auftreten. Dessen Sonate Nr. 32 op. 111 geht Konovalov ebenfalls zu laut, zu hart, zu wenig einfühlsam an. Er donnert so sehr auf dem Flügel, dass es den Zuhörer geradezu körperlich schmerzt. Gestaltung findet nur insofern statt, dass vereinzelt Passagen etwas leiser genommen werden, aber es entsteht keine Stimmung, keine Spannung.

Stilistisch liegt er auch bei diesem pianistischem Kernrepertoire daneben. Der Beethoven klingt zwischendrin wie eine Jazz-Session. Und bietet ansonsten viel hohles Geklingel, das mit Ausdeutung des Notentexts wenig zu tun hat. Überraschenderweise weniger bombastisch beginnen Chopins Etüden op. 25, die Nummern 7 bis 12. Hier entsteht ansatzweise atmosphärische Gestaltung, die aber bald wieder in grollenden Tonkaskaden versinkt. Wenn Konovalov versucht, eine der Nummern behutsamer anzugehen und eine gewisse Leichtigkeit, die Eleganz und den Charme Chopins zu entfalten, wenn er also seine übergroße Kraft und den Druck heraus nimmt, dann bleibt nicht viel. Denn Spannung aus Intensität zu erzeugen ist seine Sache nicht.

Schumanns "Sinfonische Etüden" hat er sich als letztes vorgenommen. Dieser hat, gerade in seinen Klavierwerken, eine sofort erkennbare, ganz eigene Tonsprache. In Konovalovs Spiel ist sie nicht auszumachen. Auch wenn es hier um orchestrale Klangwirkung geht, wenn Schumann eine sinfonische Klangfülle verbreiten will, fühlt man sich bei Konovalov eher in den Klavierauszug einer Wagner-Oper versetzt. Der war zwar Zeitgenosse Schumanns, aber stilistisch verbindet die beiden wenig. Fazit dieses Abends: Bach, Beethoven, Chopin, Schumann - alles eins. Damit ist keines getroffen und keinem der Komponisten gerecht geworden. Gleichwohl gibt es viel Beifall für den Künstler, der darauf (allzu rasch) mit drei Zugaben antwortet.

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