Jubiläum:Ein hochmoderner Expressionist

Jubiläum: Das Gemälde "Das arme Land Tirol" (1913, Öl auf Leinwand) kommt für eine Sonderausstellung aus New York zurück nach Kochel.

Das Gemälde "Das arme Land Tirol" (1913, Öl auf Leinwand) kommt für eine Sonderausstellung aus New York zurück nach Kochel.

(Foto: Salomon R. Guggenheim Foundation)

Warum die Kochler Museumsdirektorin Cathrin Klingsöhr-Leroy für eine Sonderausstellung Marcs Werk "Das arme Land Tirol" ausgewählt hat

Von Felicitas Amler, Kochel am See

Blaue Pferde, gelbe Kühe, bunte Stiere, Hunde, Katzen, Rehe: Es sind vor allem Tiere, die man vor Augen hat, wenn man an Franz Marc denkt. Malerische Motive, eigenwillige und starke Farben, fließende Formen. Vieles davon ist als Kunstdruck oder Poster in tausendfachen Auflagen weltweit verbreitet. Für eine der drei Ausstellungen, die das Kochler Franz-Marc-Museum anlässlich des 100. Todestags des bedeutenden Expressionisten zeigt, hat Direktorin Cathrin Klingsöhr-Leroy bewusst kein Tierbild gewählt. "Das arme Land Tirol" sei insofern ein ganz besonderes Gemälde, sagt sie, als es in Motiv, Technik und Atmosphäre aus den Werken der wichtigsten Schaffenszeit Franz Marcs, den Jahren 1912 und 1913, herausrage. Es sei eine Landschaft; die beiden Pferde im Vordergrund hätten eher emblematischen Charakter.

Klingsöhr-Leroy beschreibt die dargestellte "dramatische Gebirgslandschaft" mit der Burg, den Kreuzen und dem Adler auf einem entlaubten Baum. Das Bild habe mittelalterlichen Charakter und sei gleichzeitig hochmodern, sagt die Kunsthistorikerin. "Dieses Gemälde ist in seiner Formensprache sehr innovativ." Die vielen Ecken, Kanten und Spitzen, die dissonante Farbigkeit - das alles sei wie eine Schwelle in Marcs Werk, erklärt sie.

Das Bild entstand nach einer Tirol-Reise des Ehepaars Maria und Franz Marc. Die Kochler Museumsdirektorin ordnet es aber auch in zwei literarische Erfahrungen des Künstlers ein. Er habe zu jener Zeit Gustave Flauberts Novelle "Die Legende von Sankt Julian dem Gastfreien" gelesen und Leo Tolstois "Der Leinwandmesser", in welcher der Ich-Erzähler ein Pferd ist. Den Einfluss des einen Werks entdeckt Klingsöhr-Leroy in der Burg des Tirol-Bildes, den des anderen in der Unschuld der Tiere - einem Lebensthema Marcs, der diese als Gegensatz zu Ratio und Berechnung des Menschen wahrnahm und hervorhob.

Gleichzeitig sei Marc damals künstlerisch von zwei Ereignissen geprägt gewesen: Ende 1912 habe er sich in Paris mit dem Orphismus beschäftigt, einer aus dem Kubismus entstandenen Kunstrichtung, und er habe die Futuristen-Ausstellung in Berlin besucht. Klingsöhr-Leroy sagt, das Bild "Das arme Land Tirol" werde häufig als Vorahnung des Ersten Weltkriegs interpretiert: "Das glaube ich so präzise nicht." Sie macht auf den Grenzpfosten vorn rechts aufmerksam, den sie als Hinweis auf die nationalistische Zersplitterung Europas empfindet. Diese kritisierte Marc, und mit dieser Grundeinstellung sei er ja auch in den Ersten Weltkrieg gezogen: Mit der Hoffnung auf ein neues geistiges Europa als Gegensatz zum nationalistischen.

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